Out-Law Analysis Lesedauer: 4 Min.
25 Mar 2022, 2:43 pm
Seit Kriegsausbruch in der Ukraine wird über einen Lieferstopp von russischem Gas für Deutschland diskutiert – und darüber, was das für die Wirtschaft bedeutet. Was passiert, wenn nicht mehr genug Gas verfügbar ist, um den Bedarf zu decken, regelt ein Notfallplan.
Wie das Handelsblatt vor wenigen Tagen berichtete, bereitet die Bundesregierung die deutsche Wirtschaft auf einen möglichen Ausfall russischer Erdgaslieferungen vor. Dem Bericht zufolge fanden in der vergangenen Woche bereits Gespräche zwischen der Bundesnetzagentur (BNetzA), dem Bundeswirtschaftsministerium (BMWK), dem Bundesverband der Deutschen Industrie und dem Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft statt, bei denen auch erörtert wurde, welche Unternehmen im Ernstfall als Erstes kein Gas mehr bekommen könnten.
Derzeit decken Lieferungen aus Russland rund die Hälfte des deutschen Gasverbrauchs. Im Zuge des Ukrainekrieges werden jedoch Forderungen laut, dass Deutschland als weitere Wirtschaftssanktion gegen Russland die Gasimporte stoppen soll. Zugleich steht auch das Szenario im Raum, dass Russland selbst die Lieferungen einstellen könnte. Die Bundesregierung arbeitet bereits daran, sich unabhängiger von russischem Gas zu machen – noch ist die Gasversorgung ohne Lieferungen aus Russland nicht sicher, insbesondere nicht im nächsten Winter. Wenn nicht mehr genug Gas verfügbar ist, um den Bedarf von Unternehmen und Haushalten zu decken, greift ein Notfallplan.
Erst gestern forderte der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) die Bundesregierung auf, die Frühwarnstufe des Notfallplans Gas auszurufen. „Es liegen konkrete und ernst zu nehmende Hinweise vor, dass wir in eine Verschlechterung der Gasversorgungslage kommen. Mit der Ankündigung durch Putin, dass Gaslieferungen in Zukunft in Rubel zu bezahlen sind, ist eine Auswirkung auf die Gaslieferungen nicht auszuschließen“, so BDEW-Chefin Kerstin Andreae. Die BNetzA müsse nun Kriterien entwickeln, anhand derer entschieden werden kann, „welche Industrien und Sektoren weiterhin mit Gas auch im Rahmen einer Gasmangellage versorgt werden.“
Was passiert, wenn das Gas knapp wird, ist in Deutschland im Notfallplan Gas aus dem Jahr 2019 (PDF, 37 Seiten/ 667 KB) niedergelegt.
Mit diesem Plan erfüllt die Bundesrepublik Deutschland ihre Pflichten nach Artikel 8 der EU-Verordnung über Maßnahmen zur Gewährleistung der sicheren Gasversorgung (SoS-VO). Diese Verordnung bildet auf europäischer Ebene den Rechtsrahmen für eine Notfallversorgung mit Gas.
Die nationalen Rechtsgrundlagen für eine Notfallversorgung mit Gas – auf die der Notfallplan Gas ebenfalls Bezug nimmt – finden sich im Gesetz zur Sicherung der Energieversorgung (Energiesicherungsgesetz 1975 – EnSiG), der auf Grundlage von Paragraf 3 EnSiG erlassenen Verordnung zur Sicherung der Gasversorgung in einer Versorgungskrise (Gassicherungsverordnung – GasSV), sowie im Energiewirtschaftsgesetz (EnWG).
Der Notfallplan Gas sieht unter Bezugnahme auf Artikel 11 Absatz 1 SoS-VO im Fall von Versorgungskrisen drei Krisenstufen vor. Sie werden unter Ziffer 6.3.1 bis 6.3.3 des Notfallplans näher beschrieben:
Es liegen konkrete, ernst zu nehmende und zuverlässige Hinweise darauf vor, dass ein Ereignis eintreten kann, welches wahrscheinlich zu einer erheblichen Verschlechterung der Gasversorgungslage und zur Auslösung der Alarm- oder der Notfallstufe führt. Gasversorgungsunternehmen sind zur umfassenden Unterstützung des BMWK bei der Lagebewertung und Mitwirkung im Krisenteam verpflichtet.
Es liegt eine Störung der Gasversorgung oder eine außergewöhnlich hohe Nachfrage nach Gas vor, die zu einer erheblichen Verschlechterung der Gasversorgungslage führt. Dennoch ist der Markt noch in der Lage, diese Störung oder Nachfrage zu bewältigen, ohne dass nicht-marktbasierte Maßnahmen ergriffen werden müssen.
Auf dieser Stufe stellen die Gasversorgungsunternehmen die Versorgung mit Erdgas weiterhin sicher und ergreifen marktbasierte Maßnahmen, die unter Ziffer 7 des Notfallplans näher beschrieben werden. Dazu gehören die Beschaffung von Ersatzmengen und der netzdienliche Einsatz von gebuchten Gasspeichermengen. Zudem sind sie zur umfassenden Unterstützung des BMWK bei der Lagebewertung und Mitwirkung im Krisenteam verpflichtete.
Es liegt eine außergewöhnlich hohe Nachfrage nach Gas, eine erhebliche Störung der Gasversorgung oder eine andere erhebliche Verschlechterung der Versorgungslage vor. Alle einschlägigen marktbasierten Maßnahmen wurden umgesetzt, aber die Gasversorgung reicht nicht aus, um die noch verbleibende Gasnachfrage zu decken. Daher müssen zusätzlich nicht-marktbasierte Maßnahmen ergriffen werden, um insbesondere die Gasversorgung sogenannter „geschützter Kunden“ im Sinne von Artikel 2 Absatz 4 SoS-VO sicherzustellen. Zu den geschützten Kunden zählen Haushalte, aber auch Krankenhäuser, die Feuerwehr und die Polizei.
Auf dieser Krisen-Stufe greift der Staat durch die BNetzA ein: Diese kann als sogenannter „Lastverteiler“ Verfügungen erlassen und in den Markt eingreifen, wie auch in Paragraf 1 GasSV geregelt.
So kann sie beispielsweise anordnen, dass mehr Gas ausgespeichert wird, dass Erdgas durch Erdöl oder andere Brennstoffe ersetzt wird oder dass auf Strom umgestellt wird, der ohne Gas erzeugt wird. Sie kann allerdings auch anordnen, dass Groß- und Endverbraucher ihren Gaskonsum reduzieren oder dass Industriekunden das Gas komplett abgeschaltet wird.
Für zahlreiche Industrieunternehmen hätte ein solcher Gas-Lieferstopp gravierende Folgen. Branchenverbände warnen bereits vor großen wirtschaftlichen Schäden, zerstörten Industrieanlagen – beispielsweise in der Zinkindustrie, wo das Zink in den Anlagen niemals erkalten darf – gestörten Lieferketten und ungeahnten Folgen weit über die betroffenen Industriezweige hinaus.
Für den Fall eines solchen Eingriffes sieht das Energiesicherungsgesetz (EnSiG) Entschädigungen und einen Härteausgleich vor. Die Hürden für eine Entschädigung oder einen Härteausgleich sind allerdings recht hoch.
Anspruch auf eine Entschädigung besteht laut dem Gesetz nur dann, wenn der Schaden durch Enteignung entstanden ist. Die Höhe der Entschädigung bemisst sich nach dem für eine vergleichbare Leistung im Wirtschaftsverkehr üblichen Entgelt.
Einen Härteausgleich sieht das EnSiG vor, wenn ein Vermögensnachteil zugefügt wird und es sich nicht um eine Enteignung handelt. Ein Ausgleich wird allerdings nur gewährt, wenn die wirtschaftliche Existenz des Unternehmens „durch unabwendbare Schäden gefährdet oder vernichtet ist oder die Entschädigung zur Abwendung oder zum Ausgleich ähnlicher unbilliger Härten geboten ist.“
Der Härteausgleich ist somit an strenge Anforderungen geknüpft. Zur Leistung des Härteausgleichs wäre der Bund verpflichtet, wenn der Vermögensnachteil durch eine nach dem EnSiG erlassene Rechtsverordnung oder durch eine Maßnahme einer Bundesbehörde zugefügt worden ist. In den übrigen Fällen ist die Entschädigung von dem Bundesland zu leisten, das die Maßnahme angeordnet hat.
Um Deutschland weniger anfällig für Gasengpässe zu machen, hat der Bundestag zudem heute das Gesetz zur nationalen Gasreserve mit Änderungen durch den Ausschuss für Klimaschutz und Energie angenommen. Es verpflichtet die Betreiber von Gasspeicheranlagen dazu, bestimmte Mindestfüllmengen zu festgelegten Terminen zu erreichen. So müssten die Speicher zum 1. August jeden Jahres zu 65 Prozent befüllt sein, zum 1. Oktober zu 80 Prozent, zum 1. Dezember zu 90 Prozent und zum 1. Februar zu 40 Prozent. Auf diese Weise soll gewährleistet werden, dass Deutschland zum Beginn der Kälteperiode ausreichend Gas zur Verfügung steht und sich Versorgungsengpässe weniger gravierend auswirken.
Durch die Änderungen des Ausschusses für Klimaschutz und Energie wurden die Regeln allerdings bis zum 1. April 2025 befristet. Zudem muss das BMWK die Umsetzung der Vorschriften bis zum 15. Dezember 2022 bewerten und bis zum 1. April 2023 evaluieren, ob es sinnvoll ist, die Regeln über den 1. April 2025 hinaus zu verlängern.