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EU-Richtlinie zur Lohntransparenz geht über aktuell gültige Regeln in Deutschland hinaus


Die neue EU-Entgelttransparenzrichtlinie wird den deutschen Gesetzgeber und anschließend die Unternehmen in Deutschland vor Herausforderungen stellen.

Im April 2023 stimmte nach dem Europäischen Parlament auch der Rat der neuen EU-Richtlinie für mehr Lohntransparenz zu. Die Richtlinie soll insbesondere dazu beitragen, dass Beschäftigte besser darüber informiert werden, was Kollegen in vergleichbaren Positionen verdienen. So soll auch die geschlechtsspezifische Entgeltlücke (sogenannte Gender-Pay-Gap) in der EU abgebaut werden.

Die zentralen Maßnahmen der Richtlinie sind eine Berichtspflicht für Unternehmen, ein verbesserter Auskunftsanspruch für Arbeitnehmer sowie verpflichtende Angaben zum Einstiegsgehalt für ausgeschriebene Stellen gegenüber Stellenbewerbern. Außerdem soll der Zugang zur Justiz für Betroffene von Entgeltdiskriminierung erleichtert werden.

Die Richtlinie legt Mindestanforderungen fest. Das bedeutet, dass die Mitgliedstaaten günstigere Bedingungen für Arbeitnehmer vorsehen können. Viele der in der EU-Richtlinie enthaltenen Regeln gehen über das aktuell in Deutschland geltende Entgelttransparenzgesetz hinaus. Die Unternehmen werden somit nach Umsetzung der Richtlinie durch den deutschen Gesetzgeber strengere Regeln zur Lohntransparenz befolgen müssen.

Chronologie der Entgelttransparenzrichtlinie

Die Europäische Kommission veröffentlichte den Richtlinienentwurf im März 2021. Anschließend wurde er von den beiden wichtigsten Gesetzgebungsorganen der EU – dem Europäischen Parlament und dem Ministerrat – behandelt. Nach interinstitutionellen Verhandlungen erzielten das Parlament und der Rat Ende letzten Jahres eine vorläufige Einigung zu den Vorschlägen. Zuletzt stimmten am 30. März 2023 die Abgeordneten des Europäischen Parlaments und am 24. April 2023 auch der Rat der finalen Fassung der Richtlinie zu.

In Kürze wird die Richtlinie im Amtsblatt der EU veröffentlicht und tritt anschließend in Kraft. Die Mitgliedstaaten müssen die Richtlinie innerhalb von drei Jahren nach ihrem Inkrafttreten in nationales Recht umsetzen. Erst wenn dies geschehen ist, sind Unternehmen verpflichtet, die Maßnahmen umzusetzen.

Was sieht der finale Richtlinienentwurf vor?

Artikel vier der Richtlinie verpflichtet jeden EU-Mitgliedstaat, den Unternehmen und Sozialpartnern einfache, leicht zugängliche und geschlechtsneutrale Analysemethoden zur Verfügung zu stellen, um die Bewertung und den Vergleich des Wertes der Arbeit zu fördern. Die Richtlinie enthält an dieser Stelle noch keine konkrete Verpflichtung, für Arbeitgeber eine verpflichtende Anwendung eines objektiven, geschlechtsneutralen Entgeltsystems einzuführen. Sie trägt den Mitgliedstaaten lediglich auf, Maßnahmen zu ergreifen, um dies sicherzustellen. Für den deutschen Gesetzgeber verbleibt somit viel Gestaltungsspielraum bei der Umsetzung.

Nach Artikel fünf haben Stellenbewerber das Recht, vom potenziellen Arbeitgeber Informationen über das Anfangsgehalt oder dessen Spanne zu erhalten, die auf objektiven, geschlechtsneutralen Kriterien für die betreffende Stelle und gegebenenfalls auf den einschlägigen Bestimmungen des Tarifvertrags beruhen. Die Informationen sollen so bereitgestellt werden, dass „fundierte und transparente Verhandlungen über das Entgelt gewährleistet werden“, also beispielsweise direkt in der Stellenausschreibung oder zusammen mit der Einladung zum Vorstellungsgespräch.

Gemäß Artikel sechs müssen Arbeitgeber in leicht zugänglicher Weise Informationen über die im Unternehmen verwendeten Kriterien zur Festlegung der Entgelte, der Entgelthöhe und der Entgeltentwicklung bereitstellen. Diese Kriterien müssen objektiv und geschlechtsneutral sein. Die Mitgliedstaaten haben die Option, Arbeitgeber mit weniger als 50 Arbeitnehmern von dieser Informationspflicht freizustellen, jedoch nur bezüglich der Entgeltentwicklung. Inwiefern es zukünftig für Arbeitgeber möglich sein wird, sich darauf zu berufen, dass es keine Kriterien für die Entgelte und deren Entwicklung gäbe, da diese individuell verhandelt werden, bleibt abzuwarten. Es bleibt zu hoffen, dass der deutsche Gesetzgeber bei der Umsetzung eine klarere Formulierung findet als die Richtlinie.

Der Auskunftsanspruch für Arbeitnehmer ist in Artikel sieben geregelt. Demnach haben Arbeitnehmer das Recht, schriftlich Informationen über ihr individuelles Entgelt und das durchschnittliche Entgelt für Gruppen von Arbeitnehmern, die die gleiche oder eine gleichwertige Arbeit verrichten, zu verlangen. Außerdem wird es den Arbeitgebern untersagt, die Arbeitnehmer an der Offenlegung ihres Entgelts zu hindern. Geheimhaltungsklauseln in Bezug auf das Gehalt, wie sie oft in Arbeitsverträgen vorkommen, werden somit künftig nicht mehr möglich sein. Hier ist zu beachten, dass die Richtlinie eine sehr weite Definition des Entgeltbegriffs vorsieht. Entgelt im Sinne der Richtlinie meint die üblichen Grund- oder Mindestlöhne sowie alle sonstigen Vergütungen, die ein Arbeitgeber aufgrund des Dienstverhältnisses einem Arbeitnehmer als Geld- oder Sachleistung zahlt. Auch unmittelbare oder mittelbare Vergütungen und ergänzende oder variable Gehaltsbestandteile sind vom Auskunftsanspruch erfasst, der weit über den Auskunftsanspruch nach dem deutschen Entgelttransparenzgesetz hinaus geht.

Artikel acht sieht vor, dass alle Informationen barrierefrei zugänglich sein müssen.

Artikel neun sieht eine Berichtspflicht für Arbeitgeber über zahlreiche Indikatoren vor, insbesondere über das geschlechtsspezifische Lohngefälle im Unternehmen. Diese Berichtspflicht soll schrittweise eingeführt werden, je nach Größe des Unternehmens.

  • Für Unternehmen mit 250 oder mehr Mitarbeitern würde die Berichtspflicht zum ersten Mal vier Jahre nach Inkrafttreten der Richtlinie und danach jährlich bestehen.
  • Arbeitgeber mit 150 bis 249 Mitarbeitern müssten den ersten Bericht ebenfalls vier Jahre nach Inkrafttreten und danach alle drei Jahre vorlegen.
  • Arbeitgeber mit 100 bis 149 Mitarbeitern haben nach Inkrafttreten sogar acht Jahre Zeit und müssen danach alle drei Jahre einen neuen Bericht für das vorangegangene Kalenderjahr vorlegen.
  • Arbeitgeber mit weniger als 100 Mitarbeitern müssen gemäß Richtlinie keinen Bericht vorlegen, allerdings steht es den Mitgliedstaaten frei, auch für diese Gruppe eine Berichtspflicht einzuführen.

Nach Artikel zehn wären Arbeitgeber, die der Berichtspflicht nach Artikel acht unterliegen, außerdem verpflichtet, in Zusammenarbeit mit ihren Arbeitnehmervertretern eine sogenannte gemeinsame Entgeltbewertung durchzuführen, wenn die folgenden Bedingungen erfüllt sind:

  • die gemäß Artikel neun durchgeführte Lohn- und Gehaltsberichterstattung weist einen Unterschied im durchschnittlichen Lohnniveau zwischen weiblichen und männlichen Arbeitnehmern von mindestens fünf Prozent in einer beliebigen Kategorie von Arbeitnehmern aus;
  • der Arbeitgeber war nicht in der Lage, diesen Unterschied im durchschnittlichen Lohnniveau anhand objektiver und geschlechtsneutraler Kriterien zu rechtfertigen; und
  • der Arbeitgeber hat diese ungerechtfertigte Differenz im durchschnittlichen Lohnniveau nicht innerhalb von sechs Monaten nach Vorlage des Berichts gemäß Artikel neun behoben.

Das deutsche Engelttransparenzgesetz

Seit der Einführung des Entgelttransparenzgesetzes im Jahr 2017 ist der geschlechtsspezifische unbereinigte Gender-Pay-Gap in Deutschland von 20,4 Prozent auf 18 Prozent im Jahr 2022 gesunken. Trotz dieser Verbesserung belegt Deutschland im Vergleich zu den anderen EU-Ländern den drittletzten Platz.

Die zentrale Maßnahme des deutschen Entgelttransparenzgesetzes ist der individuelle Auskunftsanspruch der Arbeitnehmer in Betrieben mit mehr als 200 Beschäftigten. Arbeitgeber, die mehr als 500 Personen beschäftigen und nach dem Handelsgesetzbuch berichtspflichtig sind, sind zur Erstellung eines Gleichstellungsberichts verpflichtet. Zuletzt „appelliert“ das Gesetz an Unternehmen mit mehr als 500 Arbeitnehmern, betriebliche Verfahren zur Überprüfung und Herstellung der Entgeltgleichheit durchzuführen. Eine Verpflichtung zu betrieblichen Prüfverfahren besteht nicht.

In der Praxis hat der individuelle Auskunftsanspruch nur begrenzte Auswirkungen, da es für die Betroffenen nach wie vor sehr schwierig ist, eine Entgeltdiskriminierung aufgrund des Geschlechts vor Gericht zu beweisen. Das Bundesarbeitsgericht hat diese Situation Anfang 2021 durch eine Beweislastumkehr zugunsten der Betroffenen verbessert, aber die meisten Beschäftigten in Deutschland können einen Auskunftsanspruch nicht wahrnehmen, weil dieser durch die Notwendigkeit der Bildung einer Vergleichsgruppe mit mindestens sechs Kollegen des anderen Geschlechts eingeschränkt ist.

Die derzeitigen Regelungen in Deutschland bleiben hinter den Maßnahmen der EU-Lohntransparenzrichtlinie zurück. Es ist zu erwarten, dass die Umsetzung der Richtlinie in deutsches Recht sehr schwierig werden wird. Zwar möchte das zuständige Bundesfamilienministerium die Regelungen zügig umsetzen, jedoch sind die Maßnahmen in Deutschland politisch stark umstritten. Insbesondere wird der hohe bürokratische Aufwand kritisiert. Zudem besteht in Deutschland in der Praxis noch wenig Erfahrung mit der Umsetzung des Entgeltgleichheitsgebots. So gibt es zum Beispiel bisher kaum höchstrichterliche Rechtsprechung zu den Rechtsfragen der geschlechtsspezifischen Entgeltgleichheit, etwa zu den Rechtsbegriffen der gleichen und gleichwertigen Arbeit sowie der Rechtsfrage, was sachliche Gründe sind, die ein ungleiches Gehalt rechtfertigen können.

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