Out-Law News Lesedauer: 3 Min.
05 May 2020, 8:41 am
Nach dem Corona-Lockdown dürfen Geschäfte wieder öffnen, anfangs jedoch nur Läden mit einer Fläche von maximal 800 Quadratmetern. Immer mehr Einzelhändler wehren sich gegen diese Regel, Experten halten die Beschränkung für aus der Luft gegriffen, Gerichte sind sich uneins.
In der Corona-Krise entscheidet vielerorts die Größe darüber, ob ein Geschäft wieder öffnen darf oder noch geschlossen bleiben muss – zumindest überall dort, wo Gerichte oder Landesregierungen die Mitte April vom Bund und den Ländern gemeinsam beschlossenen Regel noch nicht wieder aufgehoben haben. Tagesschau.de spricht von einem „Flickenteppich von Regelungen“, der sich mittlerweile über dem Land ausbreitet.
Den ersten Schritt hinaus aus dem Corona-Lockdown durften Geschäfte mit einer Verkaufsfläche von bis zu 800 Quadratmetern machen, sie konnten schon Mitte April wieder öffnen. Buchhandlungen, Auto- und Fahrradhändler wurden von vornherein von der Regelung ausgenommen, sie durften unabhängig von ihrer Fläche wieder öffnen.
„Die 800-Quadratmeter-Grenze erscheint völlig aus der Luft gegriffen und steht in keinem Zusammenhang mit den Herausforderungen von Covid-19“, so Katharina von Hermanni, Expertin für Immobilienrecht bei Pinsent Masons, der Kanzlei hinter Out-Law. „Warum sollte das Infektionsrisiko in Flächen größer als 800 Quadratmeter höher sein, als bei kleineren Flächen? Es kann ja nur darauf ankommen, wie nah sich etwaige Personen stehen, wie viele Quadratmeter also jeder Person zur Verfügung stehen. Ich begrüße sehr, dass diese Ungleichbehandlung nun auch im Rahmen von gerichtlichen Überprüfungen zumindest in einigen Fällen aufgehoben wurde.“
Zahlreiche Einzelhändler haben bereits gegen die Regelung geklagt und waren in einigen Fällen auch erfolgreich, andere verloren vor Gericht:
In Nordrhein-Westfalen scheiterte eine Kaufhaus-Kette, die die Begrenzung kippen wollte, vor dem Oberverwaltungsgericht (OVG) in Münster. Das OVG lehnte einen Eilantrag ab und begründete seine Entscheidung damit, dass die Beschränkung dabei helfe, Kundenströme zu steuern. Das diene dem Infektionsschutz.
In Berlin fiel das Urteil anders aus, dort durften mehrere große Kaufhäuser wieder öffnen, nachdem das Verwaltungsgericht im Eilverfahren entschieden hatte.
In Baden-Württemberg beanstandete der Verwaltungsgerichtshof die 800-Quadratmeter-Regel, weil Autohäuser, Fahrradhändler und Buchhändler durch sie bevorzugt würden.
Das Oberverwaltungsgericht Hamburg hielt die Regelung hingegen für wirksam, wenn es darum geht, das Coronavirus einzudämmen, und befand die Flächenbegrenzung daher für rechtens. Das Verwaltungsgericht Hamburg war zuvor zu einer anderen Entscheidung gekommen und wollte die Öffnung großer Kaufhäuser wieder erlauben.
In Bayern beanstandete der Bundesverfassungsgerichtshof die Regelung als verfassungswidrig, ließ sie aber dennoch in Kraft, da sie ja nur vorübergehend sei. Die Landesregierung reagiert und erlaubte auch großen Geschäften wieder zu öffnen, wenn sie ihre Verkaufsflächen mit Absperrungen auf 800 Quadratmetern beschränken. Anschließend lehnte das Bundesverfassungsgericht die Klage einer Bayerischen Modehauskette im Eilverfahren ab. Das Modehaus kritisierte die Unterscheidung nach Fläche als nicht sachgerecht. Das sahen die Verfassungsrichter anders: Gegenüber den derzeitigen Gefahren für Leib und Leben müssen „wirtschaftliche Interessen der Inhaber von Ladengeschäften, Einkaufszentren und Kaufhäusern des Einzelhandels derzeit zurücktreten“, so das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss. Dadurch, dass das Modehaus nun wenigstens 800 Quadratmeter seiner Verkaufsfläche wieder öffnen dürfe, würden zudem die Umsatzeinbußen abgeschwächt. Dass Gericht ließ jedoch offen, dass es bei einer eingehenderen Prüfung zu einem anderen Urteil kommen könnte. Das sei im Eilverfahren jedoch nicht möglich gewesen.
Neben diesen sind noch zahlreiche weitere Entscheidungen durch Gerichte, aber auch Landesregierungen gefallen.
„Nachdem sich die Panik gelegt hat, blicken Unternehmen und Gerichte zunehmend kritischer auf die ‚Notstandsgesetzgebung‘“, so Dr. Thomas Wölfl, Experte für Immobilienrecht bei Pinsent Masons. „Es zeigt, dass nicht pauschal der Gesundheitsschutz als überragendes Schutzgut alles Andere überlagern kann und auch nicht alle landesrechtlichen Maßnahmen die erforderliche Ausgewogenheit an den Tag gelegt haben.“ Es bestehe Anlass zu mehr Besonnenheit und kritischer Bestandsaufnahme.
„Unternehmen, Vermieter und Mieter, die sich weiter Beschränkungen ausgesetzt sehen, dürften also durchaus auf Erfolg hoffen, wenn sie selbst um Rechtsschutz nachsuchen. Dabei kommt es aber unverändert auf das jeweilige Bundesland und die Details der jeweiligen Rechtsvorschriften an“, so Dr. Wölfl. Kritisch sei zu sehen, dass schon jetzt Wettbewerbsverzerrungen eingetreten sind.
Dass in Einzelfällen auch von den Schutzvorschriften abgewichen werden kann, zeigt sich laut Dr. Wölfl in einer anderen Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts: Erst vor wenigen Tagen hat es entschieden, dass Gottesdienste selbst aus Gründen des Infektionsschutzes nicht pauschal verboten werden dürfen, Ausnahmegenehmigungen müssten im Einzelfall möglich sein. Das Gericht setzte auf Antrag eines niedersächsischen Vereins die entsprechende Regelung der Corona-Verordnung im Eilverfahren außer Kraft, weil sie keine Möglichkeit für Ausnahmen vorsah.
„Alles über einen Kamm scheren geht eben doch nicht … auch nicht im Fall einer Pandemie. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zeigt, dass vor allem eine einzelfallbezogene Abwägung bei der Anwendung der Schutzvorschriften noch möglich sein muss“, so Dr. Wölfl.
Er rechnet damit, dass es noch eine juristische Aufarbeitung der letzten Wochen und Monate geben wird. „Schon jetzt zeichnet sich ab, dass es keine einheitliche Rechtsprechung auf Ebene der Oberverwaltungsgerichte gibt und geben wird. Um sich den Weg vor das Bundesverfassungsgericht nach Karlsruhe offen zu halten, müssen Betroffene aber zuvor fachgerichtlichen Rechtsschutz angestrengt haben – Ergebnis offen.“
Out-Law News
25 Mar 2020