Out-Law Analysis Lesedauer: 5 Min.

Deutschland auf dem Weg zum hochautomatisierten Fahren


Sich selbst lenkende Autos, die allein in die Tiefgarage fahren: Geht es ums autonome Fahren, entwickelt sich die Technik schneller als der Rechtsrahmen. Das will Deutschland nun ändern, doch es hapert noch an der technischen Umsetzung und – wie so oft – am Datenschutz.

Der Bundestag befasst sich derzeit mit einem Gesetzesentwurf, der den Weg für ‚hochautomatisierte‘ Fahrzeuge in Deutschland ebnen soll. Letzte Woche wurde der Entwurf im Verkehrsausschuss des Bundestages diskutiert, die Debatte im Plenum ist für den 20. Mai angesetzt. Das neue Gesetz soll bis Mitte dieses Jahres beschlossen werden, jedoch wurde an vielen Punkten bereits Kritik laut.

Der Weg zum autonomen Fahren in Deutschland

Bereits seit einer Änderung des Straßenverkehrsgesetzes im Jahr 2017 gilt in Deutschland ein Gesetz zum automatisierten Fahren. Es regelt den Betrieb ‚hochautomatisierter‘ Fahrzeuge, die unter bestimmten Voraussetzungen selbstständig die Fahraufgabe übernehmen, den Fahrer jedoch nicht ersetzen – diese Stufe wird auch als Level-3-Autonomie bezeichnet.

Nun soll der neue Gesetzesentwurf auch ‚vollautomatisierte‘ Fahrzeuge der Stufe 4 ermöglichen: Er soll die rechtlichen Voraussetzungen für den Einsatz komplett fahrerloser Kraftfahrzeuge im öffentlichen Straßenverkehr schaffen. Diese würden nur für bestimmte Aufgaben und in bestimmten Betriebsbereichen eingesetzt, hierbei jedoch vollständig autonom fahren. Fahrerlose Fahrzeuge sollen also künftig Güter und Personen auf fest vorgegebenen Strecken transportieren dürfen.

Damit wäre Deutschland weltweit das erste Land, das auf kommerzieller Ebene fahrerlose Fahrzeuge aus der Forschung auf die Straße bringt – laut Bundesregierung sollen 2022 bereits die ersten Kraftfahrzeuge mit autonomen Fahrfunktionen im Einsatz sein, unter anderem im Shuttle-Verkehr, bei Personentransporten auf festgelegten Strecken, bei der Verbindung von Logistikzentren und im Personenverkehr im ländlichen Raum außerhalb der Stoßzeiten.

Obwohl das neue Gesetz grundsätzlich auch für sogenannte Dual-Mode-Pkw gelten soll, die autonom in festen, vordefinierten Betriebsgebieten fahren oder weiterhin von einem Fahrer gesteuert werde können, wird es wohl kaum dazu führen, dass solche Pkw häufig zum Einsatz kommen: Zum einen hakt es daran, dass die erforderliche Zulassung für ein definiertes Betriebsgebiet die flexible Nutzung des Pkws sehr einschränkt. Zum anderen fällt die Festlegung technischer Voraussetzungen für die Typgenehmigung von Pkws in die Zuständigkeit der EU. Die EU-Verordnung lässt zwar Spielraum für die Ausnahmen, wie die Zulassung neuer Technologien oder die nationale Zulassung von Kleinserien, solche Ausnahmezulassungen sind jedoch sehr kostspielig und zeitaufwendig.

Der relevanteste Anwendungsfall für private Pkws mit Dual-Mode-Funktionen, der bereits im Gesetzesentwurf erwähnt wird, wird wohl das sogenannte „Automated Valet Parking“ sein: Das selbständige, fahrerlose Einparken in Tiefgaragen oder Parkhäusern. Das Einparken kann sogar grundsätzlich geschehen, nachdem der Fahrer das Fahrzeug bereits verlassen hat.

Woran hakt es?

Der in Eile beschlossener Entwurf hat inzwischen viel Kritik eingesammelt. Obwohl die Industrie den Ansatz herzlich willkommen hieß, bleiben noch viele Punkte offen, die die praktische Umsetzung – zumindest bis 2022 – hindern können, falls das Gesetz in der aktuellen Fassung noch beschlossen werden sollte.

Infrastruktur und technische Anforderungen

Nach dem Gesetzesentwurf werden Level-4-Fahrzeuge künftig zwei Zulassungen brauchen: Eine Betriebserlaubnis und eine Genehmigung des festgelegten Betriebsbereichs. Die Betriebsbereiche, in welchen fahrerlose Fahrzeuge betrieben werden dürfen, werden durch die Landesbehörden festgelegt. Allerdings kommt der Gesetzesentwurf mit den Anforderungen an Technik und Infrastruktur etwas zu kurz, was die Umsetzung großer Technologieprojekte durch Rechtsunsicherheit erschweren kann.

Angenommen, dass das Gesetz die erste Vorstufe zum bundesweiten Einsatz autonomen Fahrens erreicht, sind einheitliche Vorgaben und Förderprogramme bereits jetzt wünschenswert, um bundesweite Infrastruktur für autonome Fahrzeuge einheitlich zu fördern sowie zu verhindern, dass bestimmte Regionen zu den Innovations-Bremsern werden und damit Flecken entstehen, die die autonome Fahrzeuge künftig umfahren müssen.

Des Weiteren sind die technischen Anforderungen an die autonomen Fahrzeuge selbst nicht im Detail definiert. Nach dem Gesetzesentwurf müssen die autonome Fahrzeuge in der Lage sein, die Verkehrsregeln einzuhalten und mit einem System zur Unfallminimierung ausgestattet sein. Im Notfall sollen sich Fahrzeuge auch selbst an einem sicheren Ort abstellen, etwa dann, wenn die Funkverbindung abbricht. Der Entwurf sieht insofern vor, dass das Fahrzeug so ausgerüstet sein muss, dass es seine Systemgrenzen erkennt und sich beim Erreichen einer Systemgrenze oder bei einer technischen Störung selbständig in einen risikominimalen Zustand versetzen kann.

Diese technischen Voraussetzungen scheinen zum Teil nicht zielführend zu sein. Der Verband Bitkom kritisiert in seiner Stellungnahme vor allem, dass Fahrzeuge sich gemäß Entwurf zu früh in einen risikominimalen Zustand versetzen müssten – beispielsweise bereits bei Abbrechen der Funkverbindung, obwohl ein Fahrzeug mit autonomer Fahrfunktion in der Lage sein sollte, ohne jede Funkverbindung zu fahren.

Technische Aufsicht

Die im Gesetzesentwurf vorgesehenen Regelungen zur technischen Aufsicht lassen ebenfalls Fragen offen. Da ein Fahrer für den Betrieb des autonomen Fahrzeugs – ausgenommen Dual-Mode-Pkws – nicht mehr erforderlich sein wird, werden die Kontrolle und die Notfallmanöver an die technische Aufsicht übertragen, die sich nicht zwingend im Fahrzeug befinden muss. Verlässt das Fahrzeug beispielsweise den vorgegebenen Betriebsbereich, soll das System die externe technische Aufsicht auffordern, die Kontrolle zu übernehmen.

Die Befugnisse der technischen Aufsicht nach dem Gesetzesentwurf greifen allerdings zu kurz. Bitkom moniert vor allem die Verpflichtung, jedes alternative Manöver abzulehnen, wenn durch dieses Verkehrsregeln verletzen würde. Gerade die Algorithmen können aber die Regeln sehr gut selbst befolgen. Es sollte jedoch die Rolle der menschlichen Intervention sein, die Abweichungen hiervon innerhalb des eingeräumten Ermessens freigeben zu können.

Auch bei den Qualifikationsanforderungen für die technische Aufsicht bedarf es im Gesetzesentwurf an Präzisierung, da nicht jeder potenzieller Anwendungsfall das gleiche Maß an Qualifikation der technischen Aufsicht erfordert. Es könnte sinnvoll sein, die Jobrollen innerhalb der technischen Aufsicht zu analysieren und zu definieren. Anderenfalls drohen der Industrie in dem Bereich Personalengpässe, die nicht so schnell überbrückt werden können. 

Umgang mit Daten

Der Hauptkritikpunkt bleibt allerdings der im Entwurf vorgesehene Umgang mit Daten. Der Entwurf legt die Kategorien von Daten fest, die in verschiedenen Szenarien, wie zum Beispiel bei Unfällen oder Ausfällen des Betriebssystems, im Fahrzeug gespeichert und aufbewahrt werden müssen. Das können unter anderem Daten zum Standort, Geschwindigkeit, Umgebung, Wetterbedingungen, Netzwerkparametern und Ausführung interner Befehle sein. Der Halter soll nach dem Entwurf verpflichtet sein, diese Daten an das Kraftfahrt-Bundesamt zu übermitteln.

Das Bundesjustizministerium hat die im Entwurf vorgesehene Verarbeitung von personenbezogenen Mobilitätsdaten scharf kritisiert, denn diese stehe mit der Datenschutz-Grundverordnung in Konflikt. Im Zentrum der Diskussion steht ebenfalls die Frage, ob vom Fahrzeug erhobene und gespeicherte Daten, wie beispielsweise gefahrene Routen, auf Anfrage an Ermittlungsbehörden übermittelt werden dürfen.

Zudem ist vorgesehen, dass grundsätzlich der Fahrzeughalter Kontrolle über alle vom Fahrzeug erhobenen Daten haben soll. Aus datenschutzrechtlicher Sicht könnte das spätestens dann zu Problemen führen, wenn Halter und Nutzer eines Dual-Mode-Pkws nicht die gleiche Person sind. Die geplanten Regelungen zu den Fahrzeugdaten würden zudem die Erfordernisse an den technischen Datenschutz im Fahrzeug steigern.

Die geplante Zuordnung aller im Fahrzeug generierten Daten zu dem Halter würde auch zusätzliche Hürden für die Nutzung von Fahrzeugdaten durch OEMs und andere Akteure schaffen. Des Weiteren werden die Hersteller nach dem jetzigen Entwurf die Fahrzeughalter nicht verpflichten können, ihnen den exklusiven Zugang zu den Fahrzeugdaten zu gewähren.

Blaupause für internationale Vorgaben

Das BMVI bezeichnet das geplante Gesetz selbst als eine Übergangslösung, bis auf internationaler Ebene harmonisierte Vorschriften vorliegen. Die Bundesregierung setzt sich bereits dafür ein, dass die EU und die UNECE einheitliche Vorschriften für autonome Fahrzeuge entwickeln. Das deutsche Gesetz könnte daher auch als Blaupause für internationale Vorgaben dienen.

Damit allerdings – wie geplant – bereits ab 2022 autonome Fahrzeuge auf deutschen Straßen fahren können, sollten zum Zeitpunkt des Gesetzesbeschlusses Anforderungen an die Zulassung bezüglich Technik, Infrastruktur und technische Aufsicht bereits detailliert definiert sein, damit die Hersteller und andere Stakeholder sich rechtzeitig daran orientieren können.

 

Co-Autoren: Christina Kirichenko und Nadia Schaff von Pinsent Masons

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