Out-Law Analysis Lesedauer: 5 Min.

Alles Wichtige zum Einheitspatent und dem Einheitlichen Patentgericht


Nachdem Deutschland die Urkunde zur Ratifizierung des Übereinkommens über ein einheitliches Patentgericht hinterlegt und damit den letzten Schritt getan hat, steht nun fest, dass das einheitliche Patentsystem der EU am 1. Juni dieses Jahres an den Start gehen kann.

Immer noch ein wenig ungläubig und mit umso größerer Spannung blickt die Fachwelt, das heißt vor allem alle, die beispielsweise in der Pharma-, Telekommunikations- oder Automobilindustrie mit technischen Schutzrechten zu tun haben, auf ein Datum in diesem Jahr: den 1. Juni 2023. Der 1. Juni 2023 verspricht geradezu eine Revolution, jedenfalls einen fundamentalen Wandel im europäischen Patentsystem.

An diesem Tag wird – nach jahrzehntelangem Ringen und jahrzehntelanger Vorbereitung – das einheitliche Patentsystem an den Start gehen. Der genannte Starttermin ist zwischenzeitlich sicher, nachdem Deutschland am 17. Februar 2023 als siebzehnter Unterzeichnerstaat seine Ratifikationsurkunde zum Übereinkommen über ein Einheitliches Patentgericht beim Europäischen Rat hinterlegt hat. Die finale Phase vor dem Start, die sogenannte „Sunrise Period“, wird am 1. März 2023 beginnen. Das neue einheitliche Patentsystem wird aus zwei Elementen bestehen, dem „Einheitspatent“ (Unitary Patent) und dem „Einheitliches Patentgericht“ (Unified Patent Court).

Vor fast einem halben Jahrhundert wurde das Europäische Patentübereinkommens (EPÜ) unterzeichnet. Bei ihm handelt es sich um einen mehrseitigen Vertrag, der insbesondere zur Gründung des Europäischen Patentamts (EPA) führte und mit dem eine autonome Rechtsordnung für die Prüfung und Erteilung sogenannter europäischer Patente geschaffen wurde. Seit Inkrafttreten des EPÜ im Jahr 1977 können Patentanmelder mit einer einzigen Anmeldung beim EPA europäische Patente erlangen, die in allen ausgewählten Mitgliedstaaten, allerdings als einzelne nationale Teile dieser europäischen Patente, Gültigkeit haben. Dieses europäische Patent ist also, anders als die Bezeichnung vermuten lässt, ein Bündel nationaler Patente. Der Vorteil ist, dass Anmeldern die Kosten paralleler nationaler Anmeldungen erspart werden. Die Validierung und Aufrechterhaltung muss nach der Erteilung aber jeweils auf nationaler Ebene erfolgen. Auch die Durchsetzung und Angriffe auf den Rechtsbestand der nationalen Teile liegen entsprechend in der nationalen Zuständigkeit der einzelnen Mitgliedstaaten.

Neues Patent – neues Gerichtssystem

Der beschriebene Zerfall der europäischen Patente in nationale Teile soll nunmehr ein Ende haben. Es soll ein einheitliches Schutzrecht geschaffen werden. Nach Erteilung durch das EPA kann ein europäisches Patent im neuen System auf Antrag des Patentinhabers für die (zum jeweiligen Zeitpunkt) teilnehmenden Vertragsmitgliedsstaaten nunmehr zum „Patent mit einheitlicher Wirkung“, auch Einheitspatent genannt, erklärt werden. Das Einheitspatent wird als einheitliches Schutzrecht das gesamte Territorium der teilnehmenden Vertragsmitgliedsstaaten umfassen.

Neben diesem neuen einheitlichen Schutzrecht wird ein neues Gerichtssystem, das Einheitliche Patentgericht (EPG), geschaffen, das sowohl über die Verletzung als auch über den Rechtsbestand der neuen Patente mit einheitlicher Wirkung entscheiden wird. Doch damit nicht genug: Das Einheitliche Patentgericht wird künftig auch für alle "klassischen" europäischen Patente und darauf basierende ergänzende Schutzzertifikate ausschließlich zuständig sein, es sei denn, die Patentanmelder und -inhaber machen von der während einer Übergangsfrist bestehenden Möglichkeit Gebrauch, die automatische Zuständigkeit des Einheitlichen Patentgerichts „abzuwählen“ oder „auszuoptieren“ (Opt out).

Das Einheitliche Patentgericht wird als eigenständiges Gericht zunächst neben die nationalen Gerichte treten, die weiterhin sowohl über die Verletzung als auch den Rechtsbestand der nationalen Teile der europäischen Patente entscheiden, die in ihren nationalen Zuständigkeitsbereich fallen, wenn ausoptiert wurde. Auf lange Sicht wird das Einheitliche Patentgericht die nationalen Gerichte aber insoweit ablösen; diese urteilen dann lediglich über die weiterhin bestehenden rein nationalen Patente.

Der vom EPG langfristig erwartete Vorteil: Derzeit entscheiden nationale Gerichte und Behörden in Fragen der Verletzung und der Rechtsgültigkeit von europäischen Patenten. In der Praxis kann dies Schwierigkeiten bereiten, wenn ein Patentinhaber ein europäisches Patent in mehreren Ländern durchsetzen oder ein Dritter die Vernichtung eines europäischen Patents erreichen möchte. Parallele Rechtsstreitigkeiten in mehreren Ländern sind teuer, und es besteht die Gefahr – manchmal auch als Chance gesehen – voneinander abweichender Entscheidungen und mangelnder Rechtssicherheit. „Forum-Shopping“ ist oft unvermeidlich, denn Beteiligte versuchen, die Unterschiede zwischen nationalen Gerichten und deren Verfahren für ihre Interessen zu nutzen.

Teilnehmende EU-Mitgliedsstaaten

Nach derzeitigem Stand werden 17 EU-Mitgliedsstaaten am einheitlichen Patentsystem teilnehmen: Österreich, Belgien, Bulgarien, Dänemark, Estland, Finnland, Frankreich, Deutschland, Italien, Lettland, Litauen, Luxemburg, Malta, die Niederlande, Portugal, Slowenien und Schweden.

Zu erwarten ist, dass sich nach und nach weitere EU-Mitgliedsstaaten dem einheitlichen Patentsystem anschließen werden.

Starttermin und Vorbereitungen

Bis zum 17. Februar 2023 waren bereits alle rechtlichen Voraussetzungen für das Inkrafttreten des Einheitspatents und des Einheitlichen Patentgerichts erfüllt – bis auf eine entscheidende: Deutschland musste noch seine Ratifikationsurkunde für das EPG-Übereinkommen hinterlegen. Obwohl Deutschland das EPG-Übereinkommen bereits ratifiziert hatte, hatte es diesen letzten Schritt der Hinterlegung der Ratifikationsurkunde bewusst zurückgestellt, um den Abschluss aller praktischen Vorbereitungen abzuwarten, die während der Phase der vorläufigen Anwendung getroffen werden müssen. Am 17. Februar 2023 erfolgte schließlich die Hinterlegung der Ratifikationsurkunde zum Übereinkommen über das Einheitliche Patentgericht beim Europäischen Rat. Dem Start des neuen europäischen Patentsystems steht somit nichts mehr im Weg.

Den imaginären „Startschuss“ hatte am 18. Januar 2022 Österreich als letztes teilnehmendes Land mit der Ratifizierung des EPG-Protokolls über die vorläufige Anwendung gegeben. Gemäß EPG-Protokoll sind einige Bestimmungen des EPG-Übereinkommens damit bereits seit dem 19. Januar 2022 vorläufig anwendbar. Die Ratifizierung durch Österreich markierte mithin die Geburtsstunde des EPG als internationale Organisation mit Rechtspersönlichkeit und ermöglicht es, die letzten praktischen Vorbereitungen abzuschließen.

Insbesondere wurden in dieser Phase der vorläufigen Anwendung die Richter des EPG ausgewählt und ernannt, das Sekundärrecht einschließlich der Verfahrensordnung des UPC erlassen, ein Haushalt verabschiedet, das elektronische Case Management-System fertiggestellt und die physische Infrastruktur an den verschiedenen Gerichtsstandorten eingerichtet.

Seit dem 1. Januar 2023 läuft ferner eine fünfmonatige Übergangsphase, innerhalb derer frühe Anträge auf einheitliche Wirkung und Anträge auf Verschiebung der Erteilung gestellt werden können.

Beginnend am 1. März 2023 wird es eine dreimonatige Einführungsphase (sunrise period) geben, innerhalb derer die „Opt outs“ vorgenommen werden können. Hintergrund ist, dass die dem einheitlichen Patentsystem zugrundeliegende EU-Verordnung über die Umsetzung der Verstärkten Zusammenarbeit im Bereich der Schaffung eines einheitlichen Patentschutzes und die EU-Verordnung über die Umsetzung der verstärkten Zusammenarbeit im Bereich der Schaffung eines einheitlichen Patentschutzes im Hinblick auf die anzuwendenden Übersetzungsregelungen zur Schaffung des einheitlichen Patentsystems bereits am 20. Januar 2013 in Kraft getreten sind, sie aber erst ab dem Tag Anwendung finden, an dem das EPG-Übereinkommen in Kraft tritt. Dies wird am ersten Tag des vierten Monats nach Hinterlegung der deutschen Ratifikationsurkunde der Fall sein, da somit die drei Staaten, in denen es im Jahr 2012 die meisten gültigen europäischen Patente gab, eine Ratifikations- oder Beitrittsurkunde hinterlegt haben: Deutschland, Frankreich und Italien.

TO DOs für aktuelle und künftige Patentinhaber

Für aktuelle und künftige Patentinhaber derzeit besonders wichtig ist, sich mit dem Thema einheitliches Patentsystem ausführlich auseinanderzusetzen und die verbleibende Zeit insbesondere für die Analyse des Patentportfolios sowie die Ausarbeitung und Entscheidung zu einer Patentstrategie zu nutzen.

Weiterhin sollten Inhaber klassischer europäischer Patente für jedes klassische europäische Patent separat die Entscheidung treffen, ob sie es aus der Zuständigkeit des EPG „herauswählen“ möchten oder nicht. Wird nichts unternommen, fallen die klassischen europäischen Patente automatisch in die Zuständigkeit des EPG.

Obwohl viele Rechtsexperten und Unternehmen dem EPG zumindest vorsichtig optimistisch entgegensehen, besteht der größte Nachteil des neuen Systems in der Möglichkeit einer zentralen Nichtigerklärung in allen am EPG teilnehmenden Staaten infolge einer zentralen Nichtigkeitsklage.

Dieser größte mögliche Nachteil – der eines Tages zum größten Vorteil werden kann – wiegt in der Entscheidungsfindung derzeit umso schwerer, trifft er auf ein vollständig unerprobtes Gerichtssystem ohne Erfahrungen mit den Verfahrensregeln und ohne jede Rechtsprechungspraxis.

Um dieses Risiko zu vermeiden, könnten Patentinhaber klassischer Patente geneigt sein, klassische europäische Patente zunächst aus der Zuständigkeit des EPG auszuoptieren. Die Entscheidung sollte aber nicht eindimensional getroffen werden, sondern die Vielzahl relevanter Faktoren in Betracht ziehen.

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