Out-Law Analysis Lesedauer: 5 Min.
23 Jan 2020, 3:08 pm
Die jetzt veröffentlichte Richtlinie über grenzüberschreitende Umwandlungen, Verschmelzungen und Spaltungen (MobilRL) ist neben der im Sommer 2019 in Kraft getretenen Richtlinie über den Einsatz digitaler Werkzeuge und Verfahren im Gesellschaftsrecht eine der beiden zentralen Säulen des so genannten EU Company Law Packages. Die beiden Richtlinien ändern die Richtlinie über bestimmte Aspekte des Gesellschaftsrechts (GesRRL) aus dem Jahr 2017 umfassend und fördern damit die Harmonisierung des europäischen Gesellschaftsrechts.
Ziel der MobilRL ist die Vereinheitlichung der drei Formen der Unternehmensumwandlung – Formwechsel, Spaltung und Verschmelzung – und die Förderung der rechtlichen Mobilität von Kapitalgesellschaften, wie z.B. der britischen Limited Liability Company oder der deutschen GmbH, AG und KGaA, im europäischen Binnenmarkt. Unternehmen sollen auch grenzüberschreitende Unternehmensumwandlungen ohne Diskriminierung durchführen können.
Die Richtlinie fasst die drei verschiedenen Formen der Umwandlung unter dem Begriff der "grenzüberschreitenden Vorhaben" zusammen. Allen gemeinsam ist, dass das jeweilige Vorhaben zu einer Änderung des anwendbaren Rechts führt.
Für jede der drei grenzüberschreitenden Vorhaben sieht die Richtlinie ein eigenes umfassendes Regelwerk vor, das Definitionen, Verfahrensregeln und Vorschriften zum Schutz von Gläubigern, Minderheitsgesellschaftern und Arbeitnehmern sowie Regeln für die Wirksamkeit und Eintragung der betreffenden Vorhaben enthält. Darüber hinaus regelt die Richtlinie eindeutig den Zeitpunkt, zu dem die Änderung des anwendbaren mitgliedstaatlichen Rechts eintritt, und trägt damit erheblich zur Rechtssicherheit bei.
Der Rechtsformwechsel meint den Wechsel der aktuellen Rechtsform einer Gesellschaft in eine andere. Die Rechtspersönlichkeit der formwechselnden Gesellschaft und alle bestehenden Rechtsverhältnisse bleiben unberührt, lediglich das "Rechtskleid" der Gesellschaft ändert sich.
Der europäische Gesetzgeber hat für dieses grenzüberschreitende Vorhaben den etwas unpräzisen, da umfassenderen, Begriff der "Umwandlung" gewählt.
Die Richtlinie sieht drei Arten von Unternehmensspaltungen vor: Aufspaltung, Abspaltung und Ausgliederung. Ausschließlich handelt es sich um Spaltungen zur Neugründung. Die Spaltung zu Aufnahme fand keinen Eingang in die Richtlinie.
Aufspaltung ist die Verteilung der Aktiva und Passiva einer Kapitalgesellschaft auf mindestens zwei neue Gesellschaften – "begünstigte Gesellschaften" genannt – begleitet von der Liquidation des zu spaltenden Unternehmens. Eine Abspaltung liegt vor, wenn die ursprüngliche Gesellschaft weiter besteht und nur einen Teil ihres Vermögens auf eine oder mehrere begünstigte Gesellschaften überträgt. In beiden Fällen können den Gesellschaftern – teilweise auf Gegenseitigkeit – Aktien oder andere Anteile gewährt werden, und es können zusätzliche Barzahlungen geleistet werden.
Eine Ausgliederung beinhaltet ebenfalls die Übertragung nur eines Teils der Aktiva und Passiva auf ein oder mehrere neue Gesellschaften. Die Geschäftsanteile können jedoch nur einseitig der Gesellschaft, die die Spaltung durchführt, gewährt werden; auch dürfen keine zusätzlichen Barzahlungen geleistet werden. Die Richtlinie sieht eine weitreichende Vereinfachung der Formalitäten für die Ausgliederung vor.
Grenzüberschreitende Verschmelzungen wurden bereits von der GesRRL geregelt. Die neue Richtlinie verändert das bestehende Recht an einigen Stellen und fügt neue Bestimmungen hinzu. Dies führt gelichzeitig zu einer Vereinheitlichung der Anforderungen und Verfahren aller grenzüberschreitenden Vorhaben.
Die neue Richtlinie unterscheidet auch bei der Verschmelzung zwischen drei Formen. Eine oder mehrere Gesellschaften können ohne Liquidation ihres Gesamtvermögens zum Zeitpunkt ihrer Auflösung auf (i) eine bestehende oder (ii) neu gegründete Gesellschaft gegen Gewährung von Anteilen und gegebenenfalls einer zusätzlichen Barzahlung übertragen werden. Alternativ kann (iii) bei einer konzerninternen Fusion eine Tochterkapitalgesellschaft auf ihre Muttergesellschaft übertragen werden, sofern die Muttergesellschaft alle Anteile an ihr hält.
Die Richtlinie richtet sich an Kapitalgesellschaften im EU-Binnenmarkt, die in Anhang II der GesRRL aufgeführt sind. Sie gilt nicht für Personengesellschaften. Das bedeutet, dass sich Personengesellschaften vorerst nur auf die EU-Rechtsprechung und den allgemeinen Grundsatz der Niederlassungsfreiheit berufen können, wenn sie grenzüberschreitende Vorhaben planen. Es steht den Mitgliedstaaten jedoch weiterhin offen, den Anwendungsbereich der Richtlinie im nationalen Recht auf Personengesellschaften auszudehnen.
Gesellschaften in Liquidation sind grundsätzlich vom Anwendungsbereich ausgeschlossen, um die Flucht in eine grenzüberschreitende Umwandlung zu verhindern.
Allen grenzüberschreitenden Vorhaben, die unter die Richtlinie fallen, ist gemeinsam, dass die Gesellschaft einen Plan erstellen muss, der die wichtigsten Informationen über die zukünftige Gesellschaft enthält, einschließlich Form, Zeitplan, Sicherheiten und Auswirkungen auf bestimmte Bereiche. Dieser Plan wird von einem unabhängigen Sachverständigen geprüft und dem/den zuständigen Unternehmensregisterführer(n) oder einer anderen sogenannten sonstigen zuständigen Stelle offengelegt.
Darüber hinaus muss das Leitungsorgan der Gesellschaft einen Bericht erstellen, um die Gesellschafter und Mitarbeiter über die für sie relevanten Aspekte des Vorhabens zu informieren, z.B. über relevante Auswirkungen, Barabfindungsangebote, Umtauschverhältnisse und Aspekte der Beschäftigungsverhältnisse und Maßnahmen zur Arbeitsplatzsicherung. Die Gesellschafter können auf den sie betreffenden Bericht und die Prüfung durch einen Sachverständigen verzichten, der Bericht ist jedoch für die Arbeitnehmer zwingend vorgeschrieben, sofern die Gesellschaft nicht nur aus dem Management besteht. Die Mitgliedstaaten können Gesellschaften, die nur einen Gesellschafter haben, von der Berichtspflicht gegenüber der Gesellschaft befreien.
Die Richtlinie legt auch Regeln für das Quorum fest, das für die Genehmigung der grenzüberschreitenden Vorhaben durch die Gesellschafterversammlung erforderlich ist. Sie sieht auch besondere Schutzmaßnahmen für Gläubiger, Minderheitsgesellschafter und Arbeitnehmer vor und regelt die Gerichtsstände für bestimmte Streitigkeiten. Bestehende Gläubigeransprüche müssen gesichert werden, und die Arbeitnehmer haben ein höheres Maß an Informations- und Auskunftsrechten.
Die im Wegzugsmitgliedstaat verbleibenden Arbeitsverhältnisse unterliegen keiner Änderung der Rechtsordnung. Das Arbeitsrecht ist an den Ort der Arbeitsleistung geknüpft. Die Regeln der Arbeitnehmermitbestimmung folgen jedoch dem Gesellschaftsrecht. Je nach den Regelungen im neuen Mitgliedsstaat können die Mitbestimmungsrechte der Arbeitnehmer nach dem grenzüberschreitenden Betrieb stärker ausgeprägt sein und an Bedeutung gewinnen.
Der Austausch von Dokumenten und die Kommunikation zwischen den Unternehmensregistern in den Mitgliedsstaaten hat nunmehr ausschließlich über das neue paneuropäische System zur Verknüpfung von nationalen Unternehmensregistern (Business Register Interconnection System – BRIS) zu erfolgen. Sobald dem zuständigen Register eine Vorabbescheinigung über den grenzüberschreitenden Vorgang vorgelegt wird, muss diese Stelle nur noch prüfen, ob das im Zuzugsmitgliedstaat stattfindende Verfahren gemäß den anzuwendenden Vorschriften stattgefunden hat. Die Vorabbescheinigung gilt als Nachweis dafür, dass der Vorgang bis zu diesem Zeitpunkt nach dem bisherigen nationalen und europäischen Recht ordnungsgemäß war.
Sobald ein grenzüberschreitender Vorgang eingetragen und wirksam wird, kann er nicht nachträglich für nichtig erklärt werden. Die Mitgliedstaaten können nur in engen Grenzen bei schwerwiegenden Missbräuchen und betrügerischen Handlungen Sanktionen verhängen.
In der Polbud-Entscheidung von 2017 entschied der EuGH, dass die Niederlassungsfreiheit als eine der europäischen Grundfreiheiten das Recht einer nach dem Recht eines Mitgliedsstaates gegründeten Gesellschaft auf Umwandlung in eine Gesellschaft, die dem Recht eines anderen Mitgliedsstaates unterliegt, einschließt. Diese Gesellschaft darf dann nicht einer strengeren Regulierung unterliegen als inländische Gesellschaften.
In der Rechtssache entschied das Gericht, dass im Falle eines Hinausformwechsel von einem Mitgliedstaat in einen anderen Mitgliedstaat eine pauschale Verpflichtung zur Liquidation einer Gesellschaft – und damit der zwangsläufigen Neuerrichtung im Gründungsmitgliedstaat – diskriminierend ist, sofern inländische Gesellschaften im Falle eines Rechtsformwechsels innerhalb des Mitgliedstaates nicht der Liquidationspflicht unterliegen.
Nach der neuen Richtlinie ist die Verlegung des Satzungssitzes einer Gesellschaft durch einen grenzüberschreitenden Rechtsformwechsel und damit die Erhaltung der Rechtspersönlichkeit der Gesellschaft nun ausdrücklich normiert und damit eine attraktivere Option.
Die MobilRL fügte zahlreiche neue Regelungen und neue Kapitel in die GesRRL ein, änderte oder fasst entsprechenden Vorschriften neu. Die GesRRL gewinnt nun an Umfang und ein einheitliches, harmonisiertes europäisches Gesellschaftsrecht an Kontur.
Besonders erfreulich ist, dass in der neuen Richtlinie sowohl für die Vorhaben selbst als auch bei Rechtsstreitigkeiten klar definiert ist, welches nationale Recht wann anzuwenden ist. Positiv ist auch, dass ein Vorhaben nicht von einzelnen Gesellschaftern wegen Meinungsverschiedenheiten über die Höhe oder die Bemessung der Barabfindung blockiert werden kann. Die Mitgliedstaaten sind von Anfang an verpflichtet, den Verfahrensablauf und die zuständigen Stellen so zu organisieren und zu strukturieren, da die Richtlinie Höchstfristen vorsieht, die eingehalten werden müssen, und ein grenzüberschreitendes Vorhaben nicht wegen übermäßigen Verfahrensverzögerungen scheitern kann. Vor allem die Einführung der Vorabbescheinigung dürfte die grenzüberschreitenden Vorhaben erheblich beschleunigen, da die zweistufige Prüfung eine erneute Überprüfung durch die zuständige Stelle im Zuzugsmitgliedsstaat überflüssig macht.
Warum der europäische Gesetzgeber beschlossen hat, die Spaltung durch Aufnahme nicht in gleicher Weise zu regeln, ist nicht ganz klar. Bedauerlich ist auch, dass die Richtlinie trotz zahlreicher Parallelen in den Verfahrensvorschriften keinen allgemeinen Verfahrensteil enthält, sondern für jeden einzelnen grenzüberschreitenden Vorgang ein neues Kapitel eröffnet. Die Mitgliedsstaaten haben jedoch die Möglichkeit, dies in ihren nationalen Vorschriften klarer und strukturierter zu gestalten. Nichtsdestotrotz die positiven Aspekte der Richtlinie überwiegen eindeutig gegenüber diesen Nachteilen.
Die Richtlinie leistet folglich einen wichtigen Beitrag, den Wettbewerb der Rechtsordnungen unter den Mitgliedstaaten zu fördern und eröffnet eine weitreichende Rechtswahlfreiheit für die Teilnehmer eines gemeinsamen, europäischen Binnenmarktes.
Out-Law Analysis
06 Aug 2019