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Horizontal-Leitlinien der EU fördern Nachhaltigkeitsinitiativen von Wettbewerbern


Die EU-Kommission hat kürzlich ihren Entwurf zu den sogenannten Horizontal-Leitlinien veröffentlicht, in welchem sich erstmals auch ein Kapitel zu Nachhaltigkeits-Kooperationen findet.

Unternehmen müssen sich bei der Zusammenarbeit mit Wettbewerbern an den Horizontal-Leitlinien orientieren, um Kartellverstöße zu vermeiden.

 

Der Entwurf der überarbeiteten Leitlinien für die horizontale Zusammenarbeit von Unternehmen wird begleitet von den Entwürfen zu den Gruppenfreistellungsverordnungen für Forschungs- und Entwicklungsvereinbarungen und für Spezialisierungsvereinbarungen. Dazu können Unternehmen, Verbände und Behörden im Rahmen einer öffentlichen Konsultation noch bis zum 26. April 2022 Stellungnahmen abgeben. Am 1. Januar 2023 sollen die finalen Reglungen dann in Kraft treten.

Neben der Überarbeitung der bestehenden Ausnahmen enthalten die neuen Leitlinien ein eigenes Kapitel dazu, wie Unternehmen zusammenarbeiten können, um Nachhaltigkeitsziele zu erreichen, ohne gegen das Wettbewerbsrecht zu verstoßen.

„Die vorgeschlagenen überarbeiteten Vorschriften sollen den Anschluss an neue Entwicklungen herstellen, damit eine sinnvolle Zusammenarbeit möglich ist“, so die für Wettbewerbspolitik zuständige Exekutiv-Vizepräsidentin der Kommission, Margrethe Vestager. So ist in dem Entwurf – nach intensiven Diskussionen in den letzten Monaten – erstmals ein eigenes Kapitel enthalten, das sich Nachhaltigkeits-Kooperationen widmet.

Das geltende EU-Wettbewerbsrecht enthält nur relativ wenige Ausnahmen oder Vorgaben zur Förderung der Einführung von Nachhaltigkeitsinitiativen. So gibt es beispielsweise begrenzte Ausnahmen für bestimmte landwirtschaftliche Erzeugnisse: Unter bestimmten Bedingungen gilt das Kartellverbot nicht, wenn ein Standard angestrebt wird, der zu Umweltzielen, zur Verringerung des Pestizideinsatzes oder zur Verbesserung von Tiergesundheit und Tierschutz beiträgt.

Die neuen, um Nachhaltigkeitsaspekte erweiterten Leitlinien werden in der Praxis von großer Bedeutung sein, wenn es um die Selbstbeurteilung von Unternehmen geht.

Es besteht jedoch ein zunehmender Bedarf für alle Sektoren, sich für ehrgeizige nachhaltige und ethische Praktiken wie die Reduzierung von Verpackungsabfällen oder die Gewährleistung existenzsichernder Mindestlöhne einzusetzen. Wenn branchenweite Maßnahmen erforderlich sind, müssen die Wettbewerber ihre Kräfte bündeln, doch die derzeitigen horizontalen Leitlinien bieten keinen klaren Rahmen für eine solche Zusammenarbeit.

Unternehmen müssen selbst beurteilen, ob eine Zusammenarbeit mit Wettbewerbern zur Erreichung von Nachhaltigkeitszielen nach den Regeln des Wettbewerbsrechts zulässig ist oder nicht. Die neuen, um Nachhaltigkeitsaspekte erweiterten Leitlinien werden in der Praxis von großer Bedeutung sein, wenn es um diese Selbstbeurteilung geht. Sie dürften auch die Rechtsunsicherheit verringern, die Unternehmen in der Vergangenheit davon abgehalten hat, im Interesse der Nachhaltigkeit mit ihren Wettbewerbern zu kooperieren. Indirekt ist dies der Beitrag des Kartellrechts zum „Green Deal“ der EU – einem breit angelegten Reformprogramm zur Förderung von Investitionen in Maßnahmen, die den Klimawandel bekämpfen und die Umwelt schützen. 

Neue Leitlinien für Nachhaltigkeits-Kooperationen

Der Begriff der Nachhaltigkeit wird in den Leitlinien sehr großzügig ausgelegt und nimmt auch soziale Aspekte in Bezug. Beispielhaft werden etwa Aktivitäten genannt, die die Bekämpfung des Klimawandels, die Achtung der Menschenrechte, die Verringerung der Lebensmittelverschwendung oder die Gewährleistung des Tierschutzes zum Ziel haben. Der in den Leitlinien verwendete Begriff der Nachhaltigkeitsvereinbarung bezieht sich auf jede Art von horizontaler Kooperationsvereinbarung, die tatsächlich ein oder mehrere Nachhaltigkeitsziele verfolgt, unabhängig von der Form der Zusammenarbeit. Zu denken wäre etwa an Forschungs- und Entwicklungsvereinbarungen oder Einkaufskooperationen, die dem Umweltschutz dienen.

Es wird viele Nachhaltigkeitskooperationen geben, die keine kartellrechtlichen Bedenken hervorrufen, weil keine Wettbewerbsparameter wie Preis oder Absatz betroffen sind. Als Beispiel nennt die EU-Kommission etwa branchenweite Kampagnen, die die Kunden auf den ökologischen Fußabdruck ihres Konsums aufmerksam machen, oder eine Datenbank zur Sammlung von Informationen über Lieferanten, die nachhaltig produzieren.

Eine gängige Art der Kooperation dürfte die Vereinbarung von Nachhaltigkeitsstandards sein: Wettbewerber einigen sich, nicht-nachhaltige Produkte und Verfahren auslaufen zu lassen, vom Markt zu nehmen oder durch nachhaltige zu ersetzen. Möglicherweise wollen sie auch Verpackungsgrößen harmonisieren, um Abfall zu reduzieren. Oder sie wollen sich darauf einigen, nur Produkte abzunehmen, die nachhaltig produziert wurden. Dieses Engagement läuft oft auf die Verwendung eines „Labels“ hinaus und führt zu höheren Produktions- oder Einkaufskosten und damit höheren Verkaufspreisen für die betroffenen Produkte. Neben vielen positiven Effekten, wie einer verbesserten Produktqualität oder verbesserten Lieferbedingungen, können solchen Kooperationen auch den Wettbewerb beschränken, beispielsweise durch die Koordinierung von Preisen oder die Diskriminierung bestimmter Wettbewerber.

Die Leitlinien führen verschiedene Voraussetzungen auf, bei deren Vorliegen es jedenfalls unwahrscheinlich ist, dass die Vereinbarung gegen das Kartellverbot verstößt („soft safe harbour“). So muss etwa der Prozess zur Entwicklung des Standards transparent sein und allen interessierten Wettbewerbern offenstehen. Den Unternehmen muss es zudem freistehen, noch höhere Standards anzuwenden.

Eine solche Änderung würde eine Abkehr von der bisherigen Rechtsprechung bedeuten und einen flexibleren Ansatz zur Rechtfertigung von Kooperationsinitiativen der Industrie ermöglichen, die Nachhaltigkeitsziele verfolgen.

Darüber hinaus wird bei der wettbewerbsrechtlichen Bewertung häufig ausschlaggebend sein, ob die Verbraucher angemessen an den durch die Vereinbarung entstehenden Effizienzgewinnen beteiligt werden. Die Unternehmen müssen also nachweisen, dass ihre Kooperation beispielsweise zu einer bestimmten Produktverbesserung führt oder wie sie zur Verringerung der Wasserverschmutzung beiträgt. An den Gewinnen muss der Verbraucher angemessen beteiligt werden. Dafür müssten den Leitlinien zufolge die Gewinne den Schaden überwiegen, der von der Vereinbarung ausgeht, so dass der Effekt für die Verbraucher auf dem betroffenen Markt zumindest neutral ausfällt. Sowohl ein gesteigerter Nutzen für die Verbraucher als auch ein gesteigerter Nutzen für die Allgemeinheit können den Unternehmen als Argumente dienen.  Eine solche Änderung würde eine Abkehr von der bisherigen Rechtsprechung bedeuten und einen flexibleren Ansatz zur Rechtfertigung von Kooperationsinitiativen der Industrie ermöglichen, die Nachhaltigkeitsziele verfolgen. In den Leitlinien wird zudem beschrieben, wie die Kooperationspartner belegen können, dass Vorteile ausreichend an die Verbraucher weitergegeben werden.

Die horizontalen Leitlinien enthalten auch ein überarbeitetes Kapitel über den Informationsaustausch zwischen Wettbewerbern, der ein Risiko für Nachhaltigkeitsinitiativen darstellt. Die Kommission wird die Art und Merkmale des Austauschs sowie die betreffenden Marktmerkmale bewerten. Um Verstöße gegen das Wettbewerbsrecht zu vermeiden, müssen die Unternehmen sicherstellen, dass geeignete Sicherheitsmaßnahmen getroffen werden.

Blick auf nationale Wettbewerbsbehörden

Die niederländische Wettbewerbsbehörde gilt als Vorreiter in Sachen Nachhaltigkeit und Wettbewerbsrecht und hatte zuletzt im Januar 2021 aktualisierte Leitlinien zu diesem Thema zur Diskussion gestellt. Auch zu den Horizontal-Leitlinien hat die Behörde bereits eine Stellungnahme mit Änderungsvorschlägen eingereicht. Es sei zu begrüßen, dass die Leitlinien viele Nachhaltigkeitskooperationen als kartellrechtlich unproblematisch einstufen.

Das deutsche Bundeskartellamt (BKartA) hatte in jüngster Vergangenheit gleich mehrere Nachhaltigkeits-Initiativen und ihre Auswirkungen auf den Wettbewerb zu prüfen. Erst im Januar dieses Jahres hatte das BKartA eine Initiative des deutschen Einzelhandels und der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit zu existenzsichernden Löhnen im Bananensektor befürwortet, da keine kartellrechtlichen Bedenken bestanden. Die Initiative will vor dem Hintergrund des 2023 in Kraft tretenden Lieferkettengesetzes entlang der Lieferkette für Eigenmarkenbananen gemeinsame Standards und strategische Ziele auf freiwilliger Basis vereinbaren. Die Initiative soll dazu beitragen, die Löhne von Arbeitern in der Bananenproduktion zu verbessern und die Sozialstandards erhöhen. Im Rahmen der Initiative soll allerdings kein Austausch zu Einkaufspreisen, weiteren Kosten, Produktionsmengen oder Margen unter den beteiligten Einzelhändlern stattfinden. Auch werden keine verpflichtenden Mindestpreise oder Preisaufschläge an einem Punkt der Lieferkette eingeführt.

Auch gegen eine Branchenvereinbarung in der Milchwirtschaft, die den Tierschutz in der Milcherzeugung verbessern soll, hatte das BKartA keine ernsthaften wettbewerbsrechtlichen Bedenken. Nach Angaben des BKartA beinhaltet das Programm die Einführung eines Labels für Produkte, die bestimmte Tierschutzkriterien erfüllen, und die Finanzierung der entstehenden Mehrkosten durch einen sogenannten Tierschutzzuschlag, der an die Landwirte gezahlt wird.

Anders bewerteten die Bonner Wettbewerbshüter eine Kooperation deutscher Milcherzeuger, die auf flächendeckende Preisaufschläge bei Milcherzeugnissen abzielte. Dies stufte das BKartA als wettbewerbsschädlich ein, Nachhaltigkeitsziele würden nicht ausreichend verfolgt.

Die britische Wettbewerbs- und Marktaufsichtsbehörde (CMA) hat vor kurzem eine Empfehlung an die Regierung veröffentlicht, in der sie darlegt, wie Nachhaltigkeitsaspekte in die britischen Wettbewerbs- und Verbraucherschutzregelungen einbezogen werden können. Die CMA erklärte, dass keine grundlegenden Gesetzesänderungen wie etwa eine spezielle Gruppenfreistellung für Nachhaltigkeit erforderlich seien, um sicherzustellen, dass Nachhaltigkeitsinitiativen nicht durch wettbewerbsrechtliche Bedenken behindert werden. Es sei bereits jetzt möglich, dass Unternehmen zusammenarbeiten, um die Umweltauswirkungen ihres Sektors durch die Bündelung von Ressourcen oder Fachwissen zu verringern, ohne gegen die Wettbewerbsregeln zu verstoßen. Allerdings räumte die CMA ein, dass mehr Klarheit darüber, was erlaubt ist und was nicht, den Unternehmen helfen könnte.

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