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EuGH soll über Zulässigkeit des Abtretungsmodells auch bei Kartellschäden entscheiden


Die deutsche Rechtsprechung steht der Verfolgung kartellrechtlicher Schadensersatzansprüche im Wege des sogenannten Abtretungsmodells bislang skeptisch gegenüber. Das Landgericht Dortmund möchte nun vom Europäischen Gerichtshof wissen, ob das EU-Recht eine solche Möglichkeit der Anspruchsverfolgung gebietet.

Bei sogenannten Abtretungsmodellen tritt eine Gruppe von Verbrauchern oder Unternehmen ihre Ansprüche an einen Inkassodienstleister ab, der diese gebündelt außergerichtlich oder gerichtlich geltend macht. Hierfür erhält der Dienstleister in der Regel ein Erfolgshonorar.

Nachdem die Zulässigkeit dieses Modells lange Zeit umstritten war, hat der BGH es in zwei wegweisenden Entscheidungen 2021 gebilligt. Nach Auffassung einiger deutscher Gerichte sollen diese Grundsätze jedoch nicht für kartellrechtliche Schadensersatzansprüche gelten, da die Komplexität des Kartellrechts eine besondere Sachkunde erfordere, über die Inkassodienstleister typischerweise nicht verfügten. Die Gerichte berufen sich dabei auf eine entsprechende Regelung im Rechtsdienstleistungsgesetz (RDG), die ausreichende Fachkenntnisse von Rechtsdienstleistern verlangt, wenn diese im Rahmen des Abtretungsmodells beauftragt werden.

Das Landgericht (LG) Dortmund befürchtet jedoch, dass diese Gesetzesauslegung durch die Gerichte Kartellgeschädigten die Möglichkeit effektiven Rechtsschutzes entzieht. Es hat daher dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) die Frage vorgelegt, ob eine solche Einschränkung mit dem Unionsrecht vereinbar ist.

„Die Antworten des EUGH auf die Vorlagefragen des LG Dortmund sind sowohl für (potenzielle) beklagte Unternehmen als auch für Kläger brandaktuell und werden maßgeblichen Einfluss darauf haben, ob und wie Kartellschadensersatzansprüche künftig effektiv durchgesetzt werden können“, so Arkadius Strohoff, Experte für Kartellrecht bei Pinsent Masons.

In dem vor dem LG Dortmund verhandelten Fall geht es um 32 Sägewerke, die ihre Ansprüche auf Kartellschadenersatz an einen Rechtsdienstleister abgetreten haben. Die Sägewerke sehen sich selbst als Geschädigte des sogenannten Rundholzkartells, das zwischen 2005 und 2019 Rundholzpreise für sich und andere Waldbesitzer abgesprochen haben soll. Konkret geht es um die Geltendmachung von Schäden, die den Sägewerksbetreibern seit dem 28. Juni 2005 durch den Bezug von Rundholz zu angeblich kartellbedingt überhöhten Preisen entstanden sind.

Das beklagte Land Nordrhein-Westfalen hält dem entgegen, dass das Abtretungsmodell in Kartellschadenersatzverfahren unzulässig sei, die Anspruchsabtretungen der Sägewerke an den Rechtsdienstleister daher unwirksam seien und dieser infolgedessen gar nicht Inhaber der Ansprüche geworden sei.

In dieser Frage hat das LG Dortmund nun mit seinem Beschluss vom 13. März 2023 den EuGH um Klärung gebeten. Es möchte wissen, ob eine Auslegung des RDG, die Kartellrechtsgeschädigten den Zugang zum Abtretungsmodell verwehrt, konform mit EU-Recht ist.

In seinen Fragen an den EuGH unterscheidet das LG Dortmund zwischen sogenannten Follow-On- und Stand-Alone-Klagen.

Im Rahmen einer Stand-Alone-Klage kann sich ein Kartellgeschädigter nicht auf eine bereits ergangene Entscheidung einer Kartellbehörde berufen. Vielmehr muss er selbst Ermittlungen durchführen und somit das Vorliegen kleiner bis mittelgroßer Kartelle durch das Zivilgericht feststellen lassen.

Follow-On-Klagen, auch Folgeklagen genannt, stützen sich hingegen auf eine bereits ergangene Entscheidung einer Kartellbehörde. Für die Kläger entfällt somit die Pflicht, das kartellrechtswidrige Verhalten nachweisen zu müssen.

Das LG Dortmund führt aus, dass nach dem RDG vor allem Stand-Alone-Fälle vom Abtretungsmodell ausgenommen seien, da hier größere kartellrechtliche Sachkunde seitens des Rechtsdienstleisters von Nöten wären als bei Follow on-Klagen. Zugleich geht das LG Dortmund aber davon aus, dass es gerade für Stand-Alone-Klagen oftmals keine andere effiziente Möglichkeit zur Durchsetzung von kartellrechtlichen Schadensersatzansprüchen in Deutschland gäbe als über das Abtretungsmodell.

Das LG Dortmund vermutet daher, dass das RDG beziehungsweise seine Auslegung durch die deutschen Gerichte in diesem Punkt nicht europarechtskonform ist, da das EU-Recht verlangt, dass alle Kartellrechtgeschädigte die Möglichkeit haben müssen, ihre Schadensersatzansprüche wirksam durchzusetzen. Sollte der EuGH einen Verstoß bejahen, würde das Abtretungsmodell für Kartellschäden – insbesondere für Stand-Alone-Klagen – geöffnet.

„Der Vorlagebeschluss des LG Dortmund zeigt: Die auf Verbraucherschutz fokussierten Ansätze der europäischen und deutschen Gesetzgeber zu kollektivem Rechtsschutz haben die Besonderheiten von Masseschäden im Kartellrecht bislang nicht umfassend adressiert“, so Carlo Schick, Experte für Massenverfahren bei Pinsent Masons. Zwar hat die Bundesregierung – obwohl dies in der zugrundeliegenden europäischen Verbandsklagenrichtlinie nicht vorgesehen war – in ihrem Entwurf zur Umsetzung der Richtlinie mit der Abhilfeklage ein Instrument vorgesehen, das Kartellschadensersatzansprüche umfasst: Anders als die bisher allein auf Feststellung von Tatsachen und Rechtsfragen gerichtete Musterfeststellungsklage, soll die neue Abhilfeklage ermöglichen, Unternehmen gebündelt auf Leistung in Anspruch zu nehmen. Allerdings sollen nach dem Regierungsentwurf nur Verbraucher und kleine Unternehmen von der geplanten Abhilfeklage Gebrauch machen können.

„Mittlere und große Unternehmen mit mehr als 50 Personen und einem Jahresumsatz über zehn Millionen Euro sind vom Anwendungsbereich nicht umfasst. Diesen steht auch nach der Einführung der Abhilfeklage keine Form der Sammelklage zur Verfügung. Da eine Einzelklage insbesondere bei Stand-Alone-Konstellationen aufgrund des hohen Kostenrisikos bei der Anspruchsdurchsetzung regelmäßig unattraktiv ist, würden diese Unternehmen besonders von einer Entscheidung des EuGH profitieren, die das Verbot des Abtretungsmodells im kartellrechtlichen Kontext für unzulässig hält“, so Strohoff.

Schick ergänzt: „Mit einer solchen Entscheidung des EuGH würde sich außerdem die Attraktivität des deutschen Rechtsmarktes für Prozessfinanzierer und Inkassodienstleister weiter erhöhen. Neben kartellgeschädigten Unternehmen würde auch Verbrauchern zusätzlich zur Abhilfeklage ein weiterer und möglicherweise schnellerer Weg für die Durchsetzung von Kartellschadensersatzansprüchen geebnet. Kartellanten könnten sich dann vermehrt gerichtlich gegen Schadensersatzansprüche verteidigen müssen.“

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