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Neue Form von Sammelklage –Bundeskabinett beschließt Regierungsentwurf


Ein neues Gesetz soll sogenannte „Abhilfeklagen“ möglich machen, durch die Ansprüche gegen Unternehmen gebündelt durchgesetzt werden können.

Die Bundesregierung hat am 29. März einen Regierungsentwurf für ein Gesetz zur Umsetzung der EU-Verbandsklagenrichtlinie (PDF 155 Seiten/ 942 KB) beschlossen. Das geplante Gesetz soll die EU-Verbandsklagenrichtlinie in deutsches Recht umsetzen.

Herzstück des Entwurfs ist das neue Verbraucherrechtedurchsetzungsgesetz (VDuG). Es führt die bisher in der Zivilprozessordnung (ZPO) enthaltenen Regelungen über die Musterfeststellungsklage mit den Regelungen zur Einführung einer neuartigen Klageform – der sogenannten Abhilfeklage – zusammen.

Die Frist zur Umsetzung der Richtlinie lief bereits am 25. Dezember 2022 ab. Angewendet werden müssen die neuen Vorschriften ab 25. Juni 2023. Abweichende Positionen im Justizministerium und im Ministerium für Verbraucherschutz hatten den Gesetzgebungsprozess jedoch verzögert. Ein zügiges parlamentarisches Verfahren vorausgesetzt, dürfte dieser Termin nun jedoch zu halten sein. Als nächstes steht die Beratung im parlamentarischen Verfahren an; die erste Lesung des Gesetzes im Bundestag könnte bereits im April stattfinden.

Leistungsklagen gegen Unternehmen

Anders als die bisher allein auf Feststellung von Tatsachen und Rechtsfragen gerichtete Musterfeststellungsklage, soll die neue Abhilfeklage ermöglichen, Unternehmen gebündelt auf Leistung in Anspruch zu nehmen. Erfasst sind sämtliche zivilrechtliche Streitigkeiten, also nicht nur die Verletzung von EU-Normen, wie es die Richtlinie als Mindestrahmen vorsieht. Die Leistung kann Schadensersatz, aber auch Reparatur, Vertragsauflösung, Preisminderung oder Kaufpreiserstattung umfassen.

Die Bundesregierung rechnet damit, dass das neue Instrument für Verbraucher und kleine Unternehmen attraktiv sein wird und diese daher von Individualklagen absehen werden. So soll letztlich auch die Justiz entlastet werden. Konkret erwartet die Bundesregierung künftig durchschnittlich 15 Abhilfeklagen und zehn Musterfeststellungsklagen pro Jahr. Es wird geschätzt, dass somit rund 22.500 Individualklagen entfallen könnten.

Voraussetzungen für eine Abhilfeklage

Für eine Abhilfeklage muss laut Entwurf glaubhaft gemacht werden, dass mindesten 50 Verbraucher betroffen sind. Kleine Unternehmen werden laut Entwurf Verbrauchern gleichgestellt. In diesem Punkt geht der Entwurf über die Anforderungen der Verbandsklagenrichtlinie hinaus. Als kleines Unternehmen sollen Betriebe gelten, die weniger als 50 Personen beschäftigen und einen Jahresumsatz von unter zehn Millionen Euro erzielen.

Die Ansprüche, die mittels Abhilfeklage verfolgt werden, müssten „gleichartig“ gelagert sein, also auf demselben Sachverhalt beruhen und die gleichen Tatsachen- und Rechtsfragen aufwerfen. Ziel ist, dass das Gericht über alle Fälle gebündelt in einem einzigen Verfahren entscheiden kann, ohne individuellen Besonderheiten Rechnung tragen zu müssen.

Bestimmte registrierte klageberechtigte Stellen, beispielsweise Verbraucherschutzverbände, werden die Klagen für die Verbraucher führen. Diese Möglichkeit steht auch qualifizierten Einrichtungen aus anderen Mitgliedstaaten der EU offen. Verbände müssen allerdings nicht, wie im vorherigen Referentenentwurf vorgesehen, vier Jahre in das sogenannte UKlaG-Register eingetragen sein, um sich für Verbandsklagen zu qualifizieren. Und auch die Hürden hinsichtlich der Mitgliederzahl wurde gesenkt: Es genügt nun, wenn ein Verband 75 Personen oder drei Verbände als Mitglieder hat. Zuvor waren 350 Personen oder zehn Verbände vorgesehen. Derzeit sind 75 Verbände in der Liste nach Paragraf 4 Absatz 1 UKlaG eingetragen.

Kommt es zur Abhilfeklage, könnten sämtliche betroffene Verbraucher ihre Ansprüche im Verbandsklageregister des Bundesamtes für Justiz anmelden, und das noch zwei Monate nach dem ersten Verhandlungstermin. Vergleichsschlüsse und Gerichtsurteile sind daher erst nach Ablauf dieser Frist möglich, um zu vermeiden, dass Verbraucher den Ausgang abwarten und opportunistische Entscheidungen treffen. Der Referentenentwurf hatte demgegenüber noch vorgesehen, dass die Verbraucher ihre Ansprüche spätestens am Tag vor der ersten mündlichen Verhandlung angemeldet haben müssen. Letztlich einigten sich das Bundesjustizministerium und das Bundesverbraucherschutzministerium jedoch auf eine längere Frist.

Abhilfeklage in vier Phasen

Die Abhilfeklage soll aus vier Phasen bestehen: Sofern das Gericht die Ansprüche für dem Grunde nach gerechtfertigt hält, ergeht ein Abhilfegrundurteil. Dieses Abhilfegrundurteil hält die Voraussetzungen für eine Anspruchsberechtigung fest, ebenso die von jedem einzelnen Verbraucher zu erbringenden Berechtigungsnachweise.

Eine Ausnahme gilt für Verfahren, in denen eine Leistung an namentlich benannte Verbraucher begehrt wird: Hier kann im Unterschied zum Abhilfegrundurteil ein reguläres Endurteil auf Zahlung ergehen, um das Verfahren zu beschleunigen.

An das Abhilfegrundurteil folgt eine Vergleichsphase, in der das beklagte Unternehmen und die klagende Stelle versuchen, eine gütliche Einigung zu finden.

Gelingt dies nicht, geht das Verfahren in die dritte Phase, in der das Gericht darüber entscheidet, in welcher Form das Unternehmen die Verbraucher zu entschädigen hat. Diese Entscheidung soll „Abhilfeendurteil“ heißen und legt den gegebenenfalls vom beklagten Unternehmen zu leistenden kollektiven Gesamtbetrag sowie die Details der Phase vier, des Umsetzungsverfahrens, fest. Das Unternehmen würde seine Leistungen in einen „Umsetzungsfonds“ einzahlen. Das Gericht bestellt einen sogenannten Sachverwalter, der die Anspruchsberechtigung der registrierten Verbraucher prüft und die Ausschüttung des Gesamtbetrages an die berechtigten Verbraucher vornimmt.

Unterschiede zur Musterfeststellungsklage

Das geplante neue Instrument unterscheidet sich von der 2018 in Deutschland eingeführten Musterfeststellungsklage insofern, als dass die Musterfeststellungsklage lediglich zur gerichtlichen Feststellung von Tatsachen oder Rechtsfragen führt. Seinen individuellen Anspruch muss jeder einzelne Verbraucher im Anschluss vor Gericht durchsetzen. Bei der geplanten Abhilfeklage würden jedoch im Erfolgsfall alle Teilnehmer direkt eine Entschädigung erhalten, ohne nochmals einzeln prozessieren zu müssen. Die Musterfeststellungsklage soll jedoch nicht aus dem deutschen Rechtssystem verschwinden, sondern gleichberechtigt neben der Abhilfeklage fortbestehen: Die klageberechtigten Verbände sollen künftig die Wahl haben, ob sie eine Abhilfeklage oder eine Musterfeststellungsklage einreichen wollen.

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