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Lemke und Habeck sprechen sich gegen Laufzeitverlängerung für Kernkraftwerke aus


Umweltministerin Steffi Lemke und Wirtschaftsminister Robert Habeck haben sich gegen eine Laufzeitverlängerung für deutsche Atomkraftwerke ausgesprochen – trotz und auch wegen des Kriegs in der Ukraine.

Das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) und das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz (BMUV) haben geprüft, ob die Laufzeiten deutscher Atomkraftwerke verlängert werden sollen. Dabei ging es vor allem um die Frage, „ob längere Laufzeiten mögliche Versorgungsengpässe im nächsten Winter ausgleichen können“, teilten beide Ministerien mit. Aber auch eine Verlängerung um mehrere Jahre wurde geprüft.

BMWK und BMUV sind der Auffassung, dass eine Verlängerung der Laufzeiten nur geringfügig zur Lösung des Problems beitragen könne. Die wirtschaftlichen Kosten hingegen seien sehr hoch, ebenso gebe es verfassungsrechtliche Bedenken und sicherheitstechnische Risiken. Kosten und Risiken überwögen den möglichen Nutzen einer Laufzeitverlängerung: „Im Ergebnis […] ist eine Laufzeitverlängerung der drei noch bestehenden Atomkraftwerke auch angesichts der aktuellen Gaskrise nicht zu empfehlen“, so die beiden Ministerien.

BMUV und BMWK wollen stattdessen den Ausbau der erneuerbaren Energiequellen vorantreiben. Auch sollen Reserven an Kohle und Gas angelegt werden, um Deutschland für den nächsten Winter unabhängiger zu machen. Die Bundesregierung arbeite bereits daran, die Speicher und Reserven zu füllen. „Auch die Energieversorgungsunternehmen sorgen vor und diversifizieren die Importe“, teilten die beiden Ministerien mit.

In Deutschland sind aktuell noch drei Atomkraftwerke am Netz, die zu fünf Prozent der deutschen Stromproduktion beitragen: das AKW Emsland, das AKW Isar 2 und das AKW Neckarwestheim 2. Sie sollen Ende dieses Jahres abgeschaltet werden. Aufgrund möglicher Energieversorgungsengpässe wegen des Kriegs in der Ukraine hatten einige deutsche Politiker darauf gedrängt, die Laufzeit der Atomkraftwerke zu verlängern, um Deutschland möglichst unabhängig von Energielieferungen aus Russland zu machen.

Beide Ministerien erklären in ihrem Prüfvermerk (5 Seiten/175 KB), dass eine Laufzeitverlängerung unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten eine „neue, umfassende Risiko- und Güterabwägung des Gesetzgebers“ nötig mache. In eine solche Abwägung müssten nicht nur Überlegungen zur Versorgungssicherheit und energiepolitischen Unabhängigkeit Deutschlands, sondern auch zur Sicherheit von Atomkraftwerken – insbesondere auch im Kriegsfall – erfolgen. Konkret verweist der Bericht auf den Beschuss des ukrainischen Atomkraftwerks Saporischschja am 3. März, der verdeutliche, dass „solche Szenarien in Europa nicht völlig auszuschließen sind“. Der Prüfvermerk nennt zudem auch die Risiken einer unterbrochenen Stromversorgung, wie sie gestern aus dem abgeschalteten Atomkraftwerk in Tschernobyl gemeldet wurde, in dem noch immer Strom für die Kühlung alter Brennelemente benötigt wird.

„Dass die beiden Ministerien, trotz der aktuellen europäischen Gaskrise, der Laufzeitverlängerung von Atomkraftwerken eine so deutliche Absage erteilen, ist stringent“, so Alice Boldis, Expertin für Anlagenbau im Energiesektor bei Pinsent Masons. „Das neuerliche ‚Nein‘ zur Atomkraft steht in Einklang mit der Stellungnahme der Bundesregierung zur EU-Taxonomie. Bereits hier hatte die Bundesregierung unterstrichen, dass die Gefahr von großflächigen, grenzüberschreitenden und langfristigen Gefährdungen für Mensch und Umwelt ein nicht hinzunehmendes Risiko darstellen, zumal auch die Endlagerfrage noch nicht gelöst sei.“

Auch abseits von kriegsbezogenen Sicherheitsbedenken, müsste laut BMUV und BMWK für alle drei Atomkraftwerke eine erneute Sicherheitsüberprüfung durchgeführt werden, bevor ihre Laufzeiten überhaupt verlängert werden könnte. Diese Sicherheitsüberprüfungen sei ein über Jahre währender Prozess. Die letzten umfassenden Sicherheitsüberprüfungen der Anlagen erfolgten 2009. Zwar seien alle drei Kraftwerke grundsätzlich sicherheitstechnisch auf einem hohen Niveau, da die Atomkraftwerkbetreiber in den letzten Jahren „alle regulären Prüfungen der Komponenten durchgeführt haben“. Eine grundlegende Sicherheitsanalyse und Überprüfung der Störfallszenarien anhand des neuen Regelwerks von 2012 sei jedoch weitgehend unterblieben. Daher könnten unerkannte Defizite nicht ausgeschlossen werden. Es sei denkbar, dass für einen Weiterbetrieb über das Jahr 2022 hinaus erst in die Sicherheitstechnik investiert werden müsse.

Eine umfangreiche Prüfung und etwaige Nachbesserungen seien in der Kürze der Zeit aber kaum umzusetzen, weswegen man bei einer Laufzeitverlängerung die Sicherheitsanforderungen „verschlanken“ und insofern mit der „bisherigen deutschen Sicherheitsphilosophie beim Betrieb der Atomkraftwerke brechen“ müsste. Zudem müsse man auch neue Brennelemente organisieren – wobei Deutschland bislang auch das Uran für seine Atomkraftwerke unter anderem aus Russland bezog. An neue, verwertbare Brennelemente zu gelangen, könne im Beschleunigten Verfahren immer noch 12 bis 15 Monate in Anspruch nehmen. Somit würde eine Verlängerung der Laufzeiten im Winter 2022/2023 keine zusätzlichen Strommengen bringen, sondern frühestens ab Herbst 2023, wenn die Kraftwerke wieder mit neuen Brennstäben befüllt wären.

Zudem geht aus dem Prüfvermerk hervor, dass es auch an Personal für die Anlagen fehlt, da bisher sämtliche Planungen auf eine Abschaltung zum Jahresende ausgerichtet waren und bereits mit dem Personalabbau begonnen wurde. Auch wichtige Ersatzteile sein gegebenenfalls nicht mehr vorrätig und müssten wohl aus dem Ausland bestellt werden, da die Produktion in Deutschland aufgrund des Atomausstiegs eingestellt wurde und das nötige Know-How verloren gegangen sei. Auch hier müsse man sich also wieder in Abhängigkeit von ausländischen Lieferanten und störanfälligen Lieferketten begeben, so der Prüfvermerk. Aus all diesen Gründen und auch, da die Entsorgung zusätzlicher radioaktiver Abfälle geregelt werden müsste, seien die Kosten für den Weiterbetrieb der Kraftwerke kaum absehbar.

Sollte sich der Staat für den Weiterbetrieb der Kraftwerke entschieden, würden die Kraftwerkbetreiber laut BMWK und BMUV außerdem darauf bestehen, dass der Staat eine „Quasi-Eignerrolle“ übernimmt, in der er die volle Verantwortung für die Anlagen trägt.

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