Markt contra Freihandel
Erklärtes Ziel des Abkommens ist es, „ungerechtfertigte Handelshemmnisse, die durch elektronische Mittel ermöglicht werden, zu beseitigen und eine offene, sichere und vertrauenswürdige Online-Umgebung für Unternehmen und Verbraucher zu gewährleisten.“ Dies zeigt exemplarisch Artikel DIGIT.9, der vorsieht, dass Unternehmen aus der EU und dem Vereinigten Königreich elektronische Dienstleistungen in beiden Jurisdiktionen anbieten können, ohne dafür eine vorherige Genehmigung zu benötigen. Gewisse Ausnahmen gelten allerdings für Dienstleistungen wie Telekommunikation, Rundfunk und Glücksspiel.
Generell basiert das Abkommen auf dem Prinzip der sogenannten „Inländerbehandlung“. Dieses wiederum entstammt dem Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommen (GATT), welches den Handel der WTO-Mitglieder regelt. In der Praxis bedeutet dies, dass weder die EU-Mitgliedsstaaten noch das Vereinigte Königreich interne Steuern oder andere interne Abgaben erheben oder Gesetze, Vorschriften sowie andere Anforderungen anwenden dürfen, die importierte oder inländische Produkte betreffen und zu einer Diskriminierung zugunsten der inländischen Produktion führen.
Diese allgemeine Regel gilt sowohl für Waren als auch für Dienstleistungen, die zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich ausgetauscht werden. Im Zusammenhang mit Dienstleistungen fördert Artikel SERVIN.2.4 ebenfalls nichtdiskriminierendes Verhalten, indem er beide Parteien verpflichtet, staatliche Investoren und Unternehmen der anderen Partei nicht schlechter zu behandeln als solche aus Drittländern.
Die Nichtdiskriminierungsbestimmungen des TCA sind zwar zu begrüßen, bleiben aber hinter den Grundsätzen des freien Waren-, Kapital-, Dienstleistungs- und Arbeitsverkehrs zurück, welche den Verkehr innerhalb des Binnenmarktes bestimmen. Denn innerhalb dieses Marktes gilt das Prinzip der Beschränkungsfreiheit und das Ziel einer angemessenen Harmonisierung der Marktbedingungen. Dies ist mehr als eine bloße Zollunion oder eine Freihandelszone.
Spielraum für Divergenzen
Teil II Titel III des TCA befasst sich mit einem breiten Spektrum von Themen: von Online-Vertragsabschlüssen und elektronischer Authentifizierung über grenzüberschreitenden Datenaustausch, Datenschutz und Privatsphäre bis hin zu Zöllen auf elektronische Dienstleistungen. Das Kapitel beinhaltet zudem Schutzmaßnahmen gegen den Zugang zu und die Weitergabe von Quellcode und legt Mindeststandards in Bezug auf den Online-Verbraucherschutz fest, einschließlich des Verbots bestimmter Marketingpraktiken. Audiovisuelle Dienstleistungen fallen nicht in den Anwendungsbereich der Bestimmungen dieses Kapitels.
Allerdings hindert nichts in Teil II Titel III eine der beiden Seiten daran, neue Regelungen für den digitalen Handel zu entwickeln – daher haben die beiden Rechts- und Verwaltungssysteme trotz der vereinbarten Bestimmungen zur Nichtdiskriminierung die Möglichkeit, sich auseinanderzuentwickeln. Dieser Spielraum für Divergenzen kommt zu den Bestimmungen in Artikel DIGIT.4 hinzu, wonach beide Seiten im Rahmen allgemeiner und spezifischer gelisteter Ausnahmen – zu denen auch Sicherheitsgründe gehören – voneinander abweichen können.
Weder in der EU noch in Großbritannien wird es unmittelbar zu grundlegenden Änderungen kommen, was die Regulierung des digitalen Handels anbelangt. Insbesondere das Vereinigte Königreich wird nicht sofort eigene Wege beschreiten. Mit anderen Worten: Die Prägung, welche das britische Recht seit dem EU-Beitritt zum 1. Januar 1973 erfahren hat, wird für eine gewisse Zeit fortbestehen. Doch die Marktregeln werden zwangsläufig auseinanderdriften. Unternehmen sollten daher damit rechnen, dass sie im Laufe der Zeit mit unterschiedlichen Rahmenbedingungen zu tun haben werden. Gerade im digitalen Handel wird man dies sehen, da dies ein regulatorisch sehr dynamischer Bereich ist.