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Lieferketten: Die Achillesferse vieler Unternehmen

Lieferketten Die Achillesferse vieler Unternehmen


Das Lieferketten-Management wird für Unternehmen zunehmend zur Herausforderung: Krisen und daraus resultierende Störungen in der Lieferkette, aber auch wachsende regulatorische Anforderungen sorgen dafür, dass Unternehmen ihre Lieferketten überdenken und neu ausrichten müssen.

Die COVID-19-Pandemie hat offenbart, wie anfällig globale Lieferketten für Störungen sein können und wie gravierend sich solche Störungen auf Unternehmen und im Weiteren auf ganze Volkswirtschaften auswirken. Der Krieg in der Ukraine hat dies abermals verdeutlicht. Dennoch sind bislang noch immer viele Unternehmen nicht zu strukturellen Veränderungen ihrer Lieferketten bereit.

von Baum Florian

Dr. Florian von Baum

Rechtsanwalt, Partner, Sector Head Technology, Science & Industry

Viele Unternehmen stehen aktuell vor einer Entscheidung, in der sie Preisstabilität gegen Liefersicherheit abwägen müssen.

Über Jahrzehnte hinweg hat sich in der verarbeitenden Industrie ein System der globalen Arbeitsteilung etabliert, das darauf beruht, dass in bestimmten Regionen der Welt bestimmte Rohstoffe, Vor- und Endprodukte bereit- und hergestellt werden. Dieses System war bislang insbesondere durch den Wunsch nach maximaler Kosteneffizienz getrieben. Die vergangenen zweieinhalb Jahre haben jedoch gezeigt, dass der kostengünstigste Weg nicht der zuverlässigste ist. Das führt dazu, dass viele Unternehmen nun vor einer Entscheidung stehen, in der sie Preisstabilität gegen Liefersicherheit abwägen müssen. Viele Unternehmen gewichten die Kosten in ihrer Entscheidung allerdings nach wie vor höher als die Frage nach der Zuverlässigkeit der Lieferkette. So verwundert es nicht, dass viele Lieferketten noch immer fragil sind.

 

Zudem zeichnet sich in bestimmten Industriezweigen wie beispielsweise der Automobilindustrie eine Verschiebung in der Struktur von globalen Lieferketten ab, etwa wenn es um die Lieferung von intelligenten Systemen wie Elektronik und Sensoren geht: Bislang hatten Tier-1-Produzenten wie System- und Modullieferanten die Kontrolle über diese Lieferkette und bezogen auch die größten Margen. Im Zuge der Krisen steigt allerdings bei vielen Automotive OEMs (Original Equipment Manufacturers) das Bewusstsein dafür, dass ein wesentlicher Teil der Wertschöpfung nicht bei den Tier-1-Produzenten selbst, sondern auf den darunterliegenden Ebenen, bei den Tier-2- und Tier-3-Herstellern, stattfindet. In diesem Bewusstsein brechen OEMs nun zunehmend traditionelle Lieferketten auf, indem sie ihre Verträge direkt mit Tier-2- und Tier-3-Produzenten wie beispielsweise Elektronikherstellern schließen. Dies kann in der Zukunft zu erheblichen Verlusten bei Tier-1-Produzenten führen. Abzuwarten bleibt, ob diese Entwicklung auch auf andere Industrien übergreift.

Risiken in der Lieferkette erkennen

Es gibt diverse Risikofaktoren für Störungen und Ausfälle in der Lieferkette: Beispielsweise können sich Vorlieferanten in Krisen- oder Kriegsgebieten befinden. Häufig ist es in solchen Fällen schwierig, die Produktion kurzfristig in andere, sichere Regionen zu verlagern. Auch kann es aufgrund von Naturkatastrophen, Grenzschließungen und anderen unvorhersehbaren Ereignissen zu Logistikproblemen kommen, sodass Waren zwar nach wie vor produziert, aber nicht mehr geliefert werden können – oder es muss für den Transport auf ein anderes Verkehrsmittel umgestiegen werden, was die Kosten in die Höhe treibt. Dies ist insbesondere in Fällen von Just-In-Time-Produktion schwierig, da hierbei kein Zeitpuffer vorgesehen ist und die bestellten Waren sofort vor Ort benötigt werden. Außerdem kann es durch Naturkatastrophen oder staatliche Eingriffe auch zu Produktionsausfällen kommen, was dazu führt, dass bestimmte Vorprodukte nicht mehr in ausreichender Menge verfügbar sind. Dies kann wiederum massive Preiserhöhungen zur Folge haben.

Ein weiteres Störungs-Szenario tritt aktuell aufgrund der steigenden Energiepreise besonders häufig ein: Vorlieferanten geraten in wirtschaftliche Schwierigkeiten und können keine Liefersicherheit mehr gewähren. Auf solche Szenarien sollten sich Kunden in der Lieferkette vorbereiten, um im Falle wirtschaftlicher Schwierigkeiten entsprechende Sofortmaßnahmen einleiten zu können.

Um die Risiken in der eigenen Lieferkette zu erkennen, bedarf es einer gründlichen Analyse sowohl des eigenen Unternehmens und seiner Abläufe als auch der Unternehmen in der Lieferkette, einschließlich der Logistikpartner auf beiden Seiten.

Lieferketten stabilisieren

So vielfältig die Gründe für Störungen in der Lieferkette sind, so vielfältig können auch die Lösungen sein, die Lieferketten belastbarer machen. Eine Maßnahme, die viele Unternehmen in Folge der Pandemie ergriffen haben, ist eine Diversifizierung ihrer Lieferketten: Statt für ein bestimmtes Produkt nur auf einen einzigen Lieferanten zu setzen, beziehen sie dieses nun von mehreren Herstellern. Insbesondere wird darauf geachtet, dass Lieferungen nicht mehr ausschließlich aus bestimmten Regionen – beispielsweise China – kommen. Das steigert zwar die Kosten, schafft aber Sicherheit für den Fall, dass ein einzelner Hersteller ausfällt oder Logistikketten für längere Zeit unterbrochen sind.

Ein weiteres geeignetes Mittel, um Lieferketten resilienter zu machen, ist deren Digitalisierung: Lieferketten werden planbarer, kontrollierbarer und somit sicherer, wenn sekundengenau erfasst wird, wo auf der Welt sich ein bestelltes Produkt gerade befindet oder in welchem Produktionsstadium es gerade ist. So kann auch frühzeitiger auf etwaige Probleme reagiert werden. Zur Digitalisierung der Lieferkette müssen teils manuelle und papiergestützte Prozesse durch digitale und autonome Mechanismen ersetzt werden, einschließlich der Digitalisierung von Datenflüssen und der Einführung von Technologien, die mehr Flexibilität und Agilität in der Lieferkette schaffen. Hierbei ist jedoch wichtig, dass das Lieferkettenmanagement vollständig digitalisiert wird, denn gerade hybride Lieferketten, die eine Mischung aus digitalen und papiergestützten Mechanismen beinhalten, sind häufig ineffizient und fehleranfällig.

Auch das „Near Shoring“, bei dem sich Unternehmen ihre Lieferanten dort suchen, wo ihre Produktion beziehungsweise ihr Absatzmarkt ist, kann logistischen Problemen vorbeugen. Gleiches gilt für bessere Lagerführung und ein Abweichen von der Just-In-Time-Produktion: Im Idealfall befinden sich Lager mit Vorprodukten nahe an der Produktionsstätte und ihre Bestände werden sorgfältig geplant und genau überwacht.

Eine weitere wichtig Maßnahme ist es, vertraglich mit den Lieferanten zu regeln, was im Fall von Produktionsausfällen und Lieferschwierigkeiten geschehen soll, vor allem also in sogenannten Allokationsszenarien, in denen mehrere Kunden des Lieferanten um die Lieferung begrenzter Produktmengen konkurrieren. Allerdings lässt sich beobachten, dass noch immer zu wenige Unternehmen die Lehren aus den Lieferkettenstörungen der letzten Jahre durch Ereignisse wie die Pandemie, Unfälle, Brandkatastrophen, Sanktionen und Krieg, auch in ihre Vertragsgestaltung einfließen lassen.

ESG-Compliance in der Lieferkette

Lieferketten bergen jedoch nicht nur kommerzielle Risiken: Auch Compliance-Themen werden zunehmend zur Herausforderung, denn Unternehmen sind mit wachsenden regulatorischen Vorgaben konfrontiert.

Die Lieferkette eines Unternehmens birgt zahlreiche Compliance-Risiken wie Korruption, Betrug, Exportkontrollen, Sanktionen oder aktuelle ESG-Anforderungen. Besonders im Bereich von Sanktionen und ESG werden Unternehmen zunehmend mit teils gravierenden Änderungen und einer Vielzahl neuer Anforderungen konfrontiert, die zur Folge haben, dass sie ihre Lieferketten und die Arbeitsweise der Unternehmen darin strenger überwachen müssen.

Bei der Wahl der Zulieferer sollten ESG-Faktoren künftig deutlich stärker ins Gewicht fallen als bisher, denn Unternehmen oder Teile von Unternehmensgruppe können aufgrund von ESG-bezogenen Gesetzen in verschiedenen Ländern verpflichtet sein, spezifische Maßnahmen in Bezug auf ihre globale Lieferkette zu ergreifen. Solche Gesetze sind unter anderem der „Modern Slavery Act“ im Vereinigten Königreich sowie weiteren Ländern wie Singapur, Australien und Hong Kong, die „Konfliktmineralien“-Bestimmungen in Kapitel 15 des „Dodd-Frank-Gesetzes“ in den USA und der entsprechenden EU-Verordnung, der „Transparency in the Supply Chain Act“ in Kalifornien, der französische „Duty of Vigilance Act“, oder das niederländische Gesetz gegen Kinderarbeit. Vorgeschriebene Maßnahmen können spezifische Sorgfaltspflichten in Bezug auf Personal- oder Arbeitsrechtsnormen innerhalb der Lieferkette, jährliche Erklärungen für die Öffentlichkeit oder andere Berichtspflichten sowie die Unterrichtung der Kunden über Maßnahmen zur Transparenz der Lieferkette umfassen.

Eike Grunert

Dr. Eike W. Grunert

Rechtsanwalt, Partner

Unternehmen sollten die regulatorischen Veränderungen auf diesem Gebiet genau verfolgen und ein maßgeschneidertes Compliance-Management-System für ihre Lieferketten einrichten.

In Deutschland tritt zudem 2023 das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz in Kraft. Es verpflichtet große deutsche Unternehmen sowie ausländische Unternehmen mit Zweigniederlassung in Deutschland dazu, definierte Compliance-Maßnahmen zu ergreifen, damit sowohl sie selbst als auch ihre Zulieferer aus dem In- und Ausland bestimmte Umwelt- und Sozialstandards einhalten. Zudem müssen die Unternehmen jährlich über ihre Compliance mit dem Gesetz Bericht erstatten. Das neue Gesetz gilt ab 2023 für Unternehmen mit mindestens 3.000 Mitarbeitern im Inland. Ab 2024 erfasst es auch kleinere Unternehmen mit 1.000 oder mehr Mitarbeitern im Inland.

Auf EU-Ebene sind ähnliche, noch weitergehende Vorschriften geplant: Die EU-Kommission hat im Februar 2022 den Vorschlag für eine Nachhaltigkeits-Richtlinie vorgelegt. Sie könnte noch mehr Unternehmen zur Kontrolle ihrer Lieferketten auf Menschen- und Umweltrechtsrisiken verpflichten, und beinhaltet zudem Pflichten zum Klimaschutz. Im September 2022 folgte der Vorschlag für eine Verordnung über das Verbot von in Zwangsarbeit hergestellten Erzeugnissen auf dem EU-Markt. Von dem Verbot betroffen wären sämtliche Produkte in der EU, unabhängig davon, ob sie für den Inlandsverbrauch oder die Ausfuhr hergestellt oder aus Drittstaaten eingeführt werden.

Unternehmen sollten die regulatorischen Veränderungen auf diesem Gebiet genau verfolgen und ein maßgeschneidertes Compliance-Management-System (CMS) für ihre Lieferketten einrichten, das auf die spezifischen Risiken des Unternehmens zugeschnitten ist. Dies erfordert insbesondere eine gründliche Risikoanalyse der Lieferkette, einschließlich des eigenen Geschäftsbetriebes (mit Gruppengesellschaften im In- und Ausland) sowie mindestens der unmittelbaren Tier-1-Lieferanten weltweit.

 
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