Out-Law News Lesedauer: 4 Min.
23 Jul 2020, 9:06 am
Ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) in einem Fall und rechtlich nicht bindende Schlussanträge zu zwei anderen Fällen geben zusätzlichen Aufschluss über die Pflichten von Online-Plattformen, wenn es darum geht, dass Nutzer urheberrechtsverletzende Inhalte hochladen, so Dr. Nils Rauer, Urheberrechtsexperte bei Pinsent Masons, der Kanzlei hinter Out-Law.
Im ersten Fall musste der EuGH darüber entscheiden, welche Nutzerinformationen Plattformen mit Rechteinhabern teilen müssen, wenn die betreffenden Nutzer unter Verdacht stehen, das Urheberrecht verletzt zu haben. Das EU-Recht räumt Rechteinhabern die Möglichkeit ein, bestimmte personenbezogene Informationen der Nutzer anzufordern, etwa den Namen und die Adresse, damit sie identifiziert werden und rechtliche Schritte gegen sie eingeleitet werden können.
Das Urteil des EuGH berücksichtigt sowohl den Wortlaut der EU-Richtlinie zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums als auch die Notwendigkeit, das Recht auf Information, das das Gesetz vorsieht, gegen die Daten- und Identitätsschutzrechte abzuwägen, die Individuen in der EU zukommen.
Filmrechte-Inhaberin Constantin Film Verleih hatte YouTube und Google, die Mutterfirma, aufgefordert, Informationen über die registrierten Nutzer herauszugeben, die ohne Zustimmung von Constantin Film Verleih Kinofilme auf die Plattform hochgeladen hatten. Zu den angefragten Informationen zählten auch die Emailadressen, Telefonnummern und IP-Adressen der Nutzer. Der Bundesgerichtshof (BGH) hatte daraufhin dem EuGH die Frage vorgelegt, welche Informationen mitgeteilt werden müssen.
Dreh- und Angelpunkt der Auseinandersetzung war die Definition des Begriffs „Adresse“ gemäß der EU-Richtlinie zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums. Der EuGH sagte, das europäische Recht verpflichte Onlineplattformen lediglich dazu, die Postanschriften der Nutzer an die Rechteinhaber weiterzugeben, und dass die Definition des Begriffs „Adresse“ sich nicht auf die IP-Adresse, Emails-Adresse oder Telefonnummer ausdehnen lasse.
Dennoch stehe es den EU-Mitgliedstaaten frei, das nationale Recht so anzupassen, dass es auch die Herausgabe zusätzlicher Nutzerinformationen ermöglicht.
„Die Entscheidung betrifft essentielle Fragen der Rechtsdurchsetzung und ist daher von enormer praktischer Bedeutung“, so Dr. Rauer. „Oft sind E-Mailadresse oder IP-Adressen bei Rechtsverletzungen im Internet der einzige Anhaltspunkt, um den Verletzer des Rechts zu identifizieren.“
„Zugleich macht der EuGH deutlich, dass es sich bei den gemäß der Richtlinie herauszugebenden Informationen lediglich um eine Mindestharmonisierung handelt“, so Dr. Rauer. Die EU-Mitgliedsstaaten habe daher die Möglichkeit, im nationalen Recht nachzubessern und festzulegen, dass im Fall von Urheberrechtsverletzungen auch weitere Informationen über die Nutzer herausgegeben werden dürfen. „Allerdings betonen die Richter, dass bei einer solchen Lösung ein Gleichgewicht zwischen Urheberrechtsinteressen einerseits und den Rechten der Nutzer auf Daten- und Identitätsschutz andererseits gefunden werden muss.“
In dem zweiten Fall legt der BGH dem EuGH eine Reihe von Fragen vor, die den Umfang betrafen, in dem Online-Plattformen von Rechteinhabern haftbar gemacht werden können, wenn urheberrechtsverletzende Inhalte von Nutzern hochgeladen werden.
In seinen Schlussanträgen, deren Empfehlung der EuGH in seinem anstehenden Urteil allerdings nicht folgen muss, erklärte Generalanwalt Henrik Saugmandsgaard Øe, dass Internetplattformen gemäß derzeit gültigem EU-Urheberrecht nicht direkt haftbar seien für die Urheberrechtsverstöße ihrer Nutzer. Der Generalanwalt erklärte, in erster Linie seien es die Nutzer, und nicht die genutzten Plattformen, die haftbar dafür sind, wenn urheberrechtlich geschützte Werke unlizensiert öffentlich wiedergegeben werden.
Plattformen könnten allerdings im Rahmen der national auszugestaltenden Sekundärhaftung haftbar sein, so Saugmandsgaard Øe. Das hänge von der auf nationaler Ebene geltenden Gesetzgebung in den EU-Mitgliedstaaten ab. Er erklärte jedoch, dass Plattformen in der Regel durch die Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr der EU gegen solche Ansprüche geschützt würden.
Gemäß der Richtlinie können Anbieter von Online-Diensten nicht generell dazu verpflichtet werden, illegale Aktivitäten auf ihren Seiten zu überwachen. Diensteanbieter sind im Allgemeinen vor der Haftung für Material geschützt, das sie weder erstellen noch überwachen, sondern lediglich speichern oder an die Nutzer ihres Dienstes weitergeben. Plattformbetreiber sind daher laut Richtlinie nicht haftbar für Rechtsverletzungen auf ihren Webseiten, wenn sie keine „tatsächliche Kenntnis“ von der illegalen Aktivität haben. In Fällen, in denen sie solche Kenntnisse erlangen und ein Diensteanbieter „zügig handelt, um die Informationen zu entfernen oder den Zugang zu ihnen zu sperren“, ist er für diese Verletzung nicht haftbar.
Von Plattformen würden grundsätzlich nur dann angenommen, dass sie Kenntnis der Rechteverletzung durch Nutzer hatten, wenn die Rechteinhaber spezifische Informationen über die illegale Handlung mit ihnen geteilt haben, so der Generalanwalt.
Das EU-Urheberrecht räume Rechteinhabern jedoch das Recht ein, eine gerichtliche Anordnungen gegen die Plattformen zu beantragen, um sie im Kampf gegen Urheberrechtsverletzungen im Internet zu unterstützen, unabhängig von der Haftbarkeit der Plattform dafür, so der Generalanwalt.
„Sollten die Richter des EuGH diese Ansicht teilen, so wäre das aktuelle Vorgehen in Deutschland als Bruch von EU-Recht zu beurteilen“, so Dr. Rauer. „Denn während die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs vorsieht, dass Plattformbetreiber nur im Wiederholungsfall und unter Abwägung ihrer sogenannten Verkehrspflichten von Gerichten aufgefordert werden können, Inhalte von ihren Seiten zu löschen, die eine Urheberrechtsverletzung darstellen, ist der Generalanwalt der Auffassung, dass gemäß EU-Recht bei jeder Urheberrechtsverletzung eine gerichtliche Anordnung unabhängig davon möglich sein muss, ob der Plattformbetreiber angemessen auf eine Meldung reagiert hat.
Der Generalanwalt argumentiert, dass eine Einschränkung der EU-Urheberrechtsrichtlinie, wie der BGH sie durch das Abstellen auf Verkehrspflichten vorsieht, unzulässig sei, da dem Rechteinhaber von Anfang an und nicht erst nach der Verletzung von Verkehrspflichten die Möglichkeit offenstehen müsse, eine gerichtliche Anordnung gegen den Plattformbetreiber zu erlangen.
In seinen Abschlussanträgen zog der Generalanwalt nicht mit in Betracht, ob sich die Vorgaben zur Haftbarkeit durch die EU-Richtlinie über das Urheberrecht und die verwandten Schutzrechte im digitalen Binnenmarkt, die letztes Jahr finalisiert wurde, ändern könnten. Die Mitgliedstaaten haben bis 7. Juni 2021 Zeit, um die Richtlinie in nationales Recht umzusetzen. Erst dann könne die neue Richtlinie in der Bewertung der Haftung eine Rolle spielen, so der Generalanwalt.
Die neue Richtlinie verschafft Urhebern von Inhalten mehr Kontrolle darüber, wo ihr urheberrechtlich geschütztes Material online erscheint, und Online-Plattformen eigenständige Pflichten, um Lizenzen zur Nutzung des Materials auf ihren Plattformen abzuschließen und gegen die unbefugte Nutzung des Materials durch User vorzugehen.
Gegner der Richtlinie warnten davor, dass die Vorschläge dazu führen könnten, dass urheberrechtlich geschützter Online-Inhalte automatisch gefiltert werden, mit dem Risiko, dass einige nach den Urheberrechtsbestimmungen zulässige Inhalte – beispielsweise solche, die in Werken der Parodie und Karikatur oder zu Zitatzwecken – von Plattformen entfernt werden, darunter auch sogenannter „User Generated Content“ wie Memes und Zusammenschnitte.
In Deutschland hat das Bundesjustizministerium kürzlich einen zweiten Diskussionsentwurf veröffentlicht, der sich damit befasst, wie die EU-Richtlinie in deutsches Recht umgesetzt werden könnte. Der Diskussionsentwurf beinhaltet auch neue Haftungsregeln für Plattformen.
Out-Law News
30 Jun 2020