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Umsetzung der Verbandsklagerichtlinie nimmt Formen an


Ein Gesetzesentwurf soll die EU-Verbandsklagerichtlinie in das deutsche Recht umsetzen und Abhilfeklagen einführen, durch die Ansprüche gegen Unternehmen gebündelt durchgesetzt werden können.

Das Bundesministerium der Justiz hat am 16. Februar einen Referentenentwurf für ein Gesetz zur Umsetzung der EU-Verbandsklagerichtlinie veröffentlicht.

Herzstück des Entwurfs ist das neue Verbraucherrechtedurchsetzungsgesetz (VDuG). Es führt die bisher in der Zivilprozessordnung (ZPO) enthaltenen Regelungen über die Musterfeststellungsklage mit den Regelungen zur Einführung einer neuartigen Klageform – der sogenannten Abhilfeklage – zusammen.

Anders als die bisher allein auf Feststellung von Tatsachen und Rechtsfragen gerichtete Musterfeststellungsklage soll die neue Abhilfeklage ermöglichen, Unternehmen gebündelt auf Leistung in Anspruch zu nehmen. Erfasst sind sämtliche zivilrechtliche Streitigkeiten, also nicht nur die Verletzung von EU-Normen, wie es die Richtlinie als Mindestrahmen vorsieht. Die Leistung kann Schadensersatz, aber auch Reparatur, Vertragsauflösung, Preisminderung oder Kaufpreiserstattung umfassen.

Für eine Abhilfeklage muss laut Entwurf glaubhaft gemacht werden, dass mindesten 50 Verbraucher betroffen sind. Kleine Unternehmen werden laut Entwurf Verbrauchern gleichgestellt. In diesem Punkt geht der Entwurf über die Anforderungen der Verbandsklagerichtlinie hinaus. Als kleines Unternehmen sollen Betriebe gelten, die weniger als 50 Personen beschäftigen und einen Jahresumsatz von unter zehn Millionen Euro erzielen.

Die Ansprüche, die mittels Abhilfeklage verfolgt werden, müssten „gleichartig“ gelagert sein, also auf demselben Sachverhalt beruhen und die gleichen Tatsachen- und Rechtsfragen aufwerfen. Ziel ist, dass das Gericht über alle Fälle gebündelt in einem einzigen Verfahren entscheiden kann, ohne individuellen Besonderheiten Rechnung tragen zu müssen.

Bestimmte registrierte klageberechtigte Stellen, beispielsweise Verbraucherschutzverbände, werden die Klagen für die Verbraucher führen. Diese Möglichkeit steht auch qualifizierten Einrichtungen aus anderen Mitgliedstaaten der EU offen. Kommt es zur Abhilfeklage, könnten sämtliche betroffene Verbraucher ihre Ansprüche im Verbandsklageregister des Bundesamtes für Justiz anmelden, und zwar bis zum Ablauf des Tages vor der ersten mündlichen Verhandlung.

„Der Referentenentwurf sieht also ein opt-in Modell vor, anders als beispielsweise die Niederlande, die für inländische Verbraucher ein opt-out System vorsehen, das bereits vor dem Erlass der Verbandsklagerichtlinie zur Verfügung stand“, so Johanna Weißbach, Expertin für Sammelklagen bei Pinsent Masons. „Der Zeitpunkt, bis zu dem eine Registrierung möglich sein sollte, war lange umstritten. Vorgeschlagen wurde seitens der Verbraucherschützer die Möglichkeit der Registrierung auch noch nach Vergleichsschluss oder Urteilserlass. Dazu kam es glücklicherweise nicht.“  

Die Abhilfeklage soll aus vier Phasen bestehen: Sofern das Gericht die Ansprüche für dem Grunde nach gerechtfertigt hält, ergeht ein Abhilfegrundurteil. Dieses Abhilfegrundurteil hält die Voraussetzungen für eine Anspruchsberechtigung fest, ebenso die von jedem einzelnen Verbraucher zu erbringenden Berechtigungsnachweise.

„Zur effizienteren Durchführung der Verfahren und zur Überwindung von Informationsasymmetrien zwischen den qualifizierten Einrichtungen und den Unternehmen sieht die Richtlinie vor, dass die Mitgliedstaaten bei der Umsetzung ins nationale Recht die Parteien ‚mit wirksamen, abschreckenden und verhältnismäßigen Sanktionen‘ zur Offenlegung von für die Klage relevanten Beweismitteln belegen können“, erläutert Dr. Sandra Gröschel, Expertin für Schieds- und Gerichtsverfahren bei Pinsent Masons. „Der Entwurf sieht daher vor, dass auf Parteien mittels Androhung eines Ordnungsgelds von bis zu 250.000 Euro Druck ausgeübt werden kann. Bislang kennt die deutsche Zivilprozessordnung keine entsprechenden Ordnungsmaßnahmen in Bezug auf die Vorlage von Unterlagen. Eine sogeannte discovery, wie man sie aus anderen Rechtsordnungen kennt, gibt es in Deutschland nicht. Die Details sind allerdings unklar, beispielsweise, ob für die gleiche Offenlegungsanordnung mehrfach ein Ordnungsgeld verhängt werden könnte, was die an sich vorgesehen Obergrenze von 250.000 Euro aushebeln könnte.“

An das Abhilfegrundurteil folgt eine Vergleichsphase, in der das beklagte Unternehmen und die klagende Stelle versuchen, eine gütliche Einigung zu finden.

Gelingt dies nicht, geht das Verfahren in die dritte Phase, in der das Gericht darüber entscheidet, in welcher Form das Unternehmen die Verbraucher entschädigt. Diese Entscheidung soll „Abhilfeendurteil“ heißen und legt den gegebenenfalls vom beklagten Unternehmen zu leistenden kollektiven Gesamtbetrag sowie die Details der Phase vier, des Umsetzungsverfahrens, fest. Das Unternehmen würde seine Leistungen in einen „Umsetzungsfonds“ einzahlen. Das Gericht bestellt einen sogenannten Sachverwalter, der die Anspruchsberechtigung der registrierten Verbraucher prüft und die Ausschüttung des Gesamtbetrages an die berechtigten Verbraucher vornimmt.

Das geplante neue Instrument unterscheidet sich von der 2018 in Deutschland eingeführten Musterfeststellungsklage insofern, als dass die Musterfeststellungsklage lediglich zur gerichtlichen Feststellung von Tatsachen oder Rechtsfragen führt. Seinen individuellen Anspruch muss jeder einzelne Verbraucher im Anschluss vor Gericht durchsetzen. Bei der geplanten Abhilfeklage würden jedoch im Erfolgsfall alle Teilnehmer direkt eine Entschädigung erhalten, ohne nochmals einzeln prozessieren zu müssen. Die Musterfeststellungsklage soll jedoch nicht aus dem deutschen Rechtssystem verschwinden, sondern gleichberechtigt neben der Abhilfeklage fortbestehen: Die klageberechtigten Verbände sollen künftig die Wahl haben, ob sie eine Abhilfeklage oder eine Musterfeststellungsklage einreichen wollen.

„Die Frist zur Umsetzung der Richtlinie lief bereits am 25. Dezember 2022 ab. Angewendet werden müssen die neuen Vorschriften bereits ab 25. Juni 2023“, so Weißbach. „Wegen abweichender Positionen im Justizministerium und im Ministerium für Verbraucherschutz verzögerte sich der Gesetzgebungsprozess. Deutschland ist mit der verzögerten Umsetzung aber nicht allein: Am 27. Januar 2023 kündigte die Europäische Kommission an, gegen insgesamt 24 Mitgliedstaaten formale Schritte einzuleiten. Die Zeit drängt nun. Anmerkungen zum Entwurf können daher auch nur bis 2. März 2023 mitgeteilt werden.“

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