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Unternehmen sollten ‚trotz gescheitertem Hinweisgeber-Schutzgesetz Meldewege einrichten‘

Whistleblower word on torn card


Das Hinweisgeber-Schutzgesetz ist am Bundesrat vorerst gescheitert, Deutschland muss sich für den mangelhaften Schutz vor Whistleblowern vor dem Europäischen Gerichtshof verantworten. Unternehmen sollten trotzdem schon jetzt Meldekanäle für Whistleblower einrichten, so ein Experte.

Mit der Hinweisgeberschutz-Richtlinie aus dem Jahr 2019 wollte die EU den Schutz von Whistleblowern in allen Mitgliedstaaten verbessern. Das Hinweisgeberschutz-Gesetz sollte die Richtlinie in Deutschland umsetzen, erhielt jedoch am 10. Februar nicht die notwendige Zustimmung durch den Bundesrat. Nun hat die Europäische Kommission Deutschland vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) verklagt, da es versäumt hat, die Richtlinie fristgerecht umzusetzen.

Die Hinweisgeberschutz-Richtlinie hätte bereits bis zum 17. Dezember 2021 in allen Mitgliedstaaten umgesetzt werden müssen, doch schon während der Merkel-Regierung war das Projekt aufgrund von Unstimmigkeiten innerhalb der Großen Koalition in Verzug geraten. Im Januar 2022 hatte die Kommission daher ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland eingeleitet. Die Klage vor dem EuGH ist der nächste Schritt. Der EuGH kann Deutschland im Fall einer Niederlage zu einer Geldstrafe verurteilen.

„Die Klage gegen Deutschland sowie sieben weitere EU-Mitgliedstaaten wegen mangelnder Umsetzung der EU-Hinweisgeberschutz-Richtlinie war zu erwarten und ist nur konsequent“, so Dr. Eike W. Grunert, Experte für Compliance bei Pinsent Masons. „Es ist in der Sache kaum nachzuvollziehen, warum der deutsche Gesetzgeber dieses wichtige Thema seit Verabschiedung der Richtlinie 2019 auf die lange Bank schiebt. Die jüngste Weigerung der unionsgeführten Länder, dem ohnehin überfälligen Umsetzungsgesetz im Bundesrat die Zustimmung zu erteilen, führt zu weiteren Verzögerungen im Gesetzgebungsverfahren.“

Die Bundesregierung und der Bundestag haben nun unter anderem die Möglichkeit, den Vermittlungsausschuss anzurufen, um mit den Ländern über einen Kompromiss zu beraten, damit das Gesetz in geänderter Form doch noch in Kraft treten kann.

Das vorläufig gescheiterte Hinweisgeber-Schutzgesetz sah unter anderem vor, dass Unternehmen und Organisationen Meldekanäle einrichten müssen, über die Mitarbeiter auf Missstände und Rechtsverstöße hinweisen können. Auch sollte beim Bundesamt für Justiz eine externe Beschwerdestellen als alternativer Meldewege eingerichtet werden. Zudem sah das Gesetz vor, dass Whistleblower besser vor Kündigungen und anderen Repressalien geschützt werden sollen.

Die nun im Bundesrat vorgebrachten Argumente gegen das Gesetz seien aus praktischer Unternehmenssicht kaum relevant, so Dr. Grunert. Unter anderem wurde kritisiert, dass das Gesetz über die Vorgaben der EU-Richtlinie hinausgehe, da die Richtlinie lediglich Meldekanäle für Verstöße gegen EU-Recht vorsehe, der Gesetzesentwurf jedoch auch andere Rechtsverstöße mit aufnimmt.

„Die Tatsache, dass das Gesetz am Bundesrat gescheitert ist, führt nun dazu, dass die unsichere Rechtslage für Unternehmen fortdauert“, so Sarah Klachin, Expertin für Arbeitsrecht bei Pinsent Masons. „Die Situation für Unternehmen ist extrem schwierig. Viele machen sich seit geraumer Zeit Gedanken und planen, wie sie die Vorgaben am besten umsetzen können. Sie wissen, dass ein Hinweisgeberschutz mit den Mindestvorgaben der Richtlinie kommen wird, allerdings ist der genaue Umfang nun weiterhin unklar. Unternehmen können weiterhin nicht sinnvoll planen, wie genau sie einen Hinweisgeberschutz einführen sollen, auch wenn sie das möchten. Zeitnah konkrete Vorgaben durch ein entsprechendes Gesetz wären wünschenswert.“

Dr. Grunert rät Unternehmen daher in dieser schwierigen Situation zu Eigeninitiative: „Schon heute und unabhängig von dem Gesetz sind Unternehmen gut beraten, ein umfassendes Hinweisgeberschutzsystem einrichten. Dies ist oft schon aus gesellschaftsrechtlichen Gründen erforderlich, um den Sorgfaltspflichten der Geschäftsleitung nachzukommen“, so der Experte. Darüber hinaus sollten Unternehmen alles daransetzen, gutgläubige Hinweisgeber zu schützen und nicht aufgrund von Meldungen zu bestrafen oder zu benachteiligen.

Dr. Grunert empfiehlt auch, dass der Meldekanal alle denkbaren Rechtsverstöße erfassen sollte, und zwar insbesondere auch Verstöße gegen unternehmensinterne Richtlinien, die für den Erfolg eines Unternehmens gegebenenfalls von hoher Bedeutung sind. Eine Beschränkung auf die – wichtigen aber ohnehin sehr zahlreichen – europarechtlich relevanten Rechtsgebiete gemäß der EU-Whistleblower-Richtlinie sei praktisch kaum sinnvoll und nur mit einem sehr hohen bürokratischen Zusatzaufwand beim Unternehmen leistbar. „Dann müssten entweder die Hinweisgeber oder die unternehmensinternen Meldestellen oder Rechtsberater umfangreiche und teils komplexe rechtliche Überlegungen anstellen, ob eine bestimmte Meldung nun unter den Schutz des Gesetzes fällt oder nicht“, so Dr. Grunert. „Es ist praktisch sehr viel einfacher und für ein praktikables Compliance-Management auch effizienter, wenn der Meldekanal für sämtliche Rechtsverstöße offen ist, allen Hinweisen mit Augenmaß aber auch der gebotenen Sorgfalt nachgegangen wird, und alle gutgläubigen Hinweisgeber gleichermaßen vor Benachteiligungen geschützt werden.“

Ob darüber hinaus der besondere Schutz nach dem Hinweisgeberschutzgesetz besteht, müsse dann nur im Ausnahmefall geprüft werden, wenn es wirklich darauf ankommt, etwa wenn streitig ist, ob es zu einer Benachteiligung gekommen ist.

„Darüber hinaus erscheint es fragwürdig, nur diejenigen Hinweisgeber schützen zu wollen, die europarechtlich relevante Missstände melden, etwa Probleme bei der Produktkonformität, der Energieeffizienz, der Tabakwerbung oder beim Datenschutz, um nur einige relevante Themen zu nennen“, führt Dr. Grunert weiter aus. „Warum soll der Schutz nicht auch für solche Hinweisgeber gelten, die Kapitalverbrechen wie Mord, Totschlag, Vergewaltigung, Menschenhandel und Sklaverei, oder auch einfach nur Betrug zu Lasten eines nicht börsennotierten Unternehmens melden? Und auch das deutsche Ordnungswidrigkeitenrecht kann unternehmerischen und auch gesellschaftlichen Sprengstoff mit hohen Reputationsrisiken bergen, ein Abtun als ‚bloßes Verwaltungsunrecht‘ erscheint hier wenig sachgerecht.“

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