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Neue Vorschriften über vertikale Vereinbarungen schaffen Klarheit für digitalen Vertrieb


Um der wachsenden Bedeutung des Online-Handels Rechnung zu tragen, hat die EU-Kommission neue Vorschriften dazu erlassen, unter welchen Bedingungen Vereinbarungen zwischen Herstellern und Händlern mit dem EU-Wettbewerbsrecht vereinbar sind.

Die Europäische Kommission hat kürzlich eine neue vertikale Gruppenfreistellungsverordnung (Vertikal-GVO) und neue vertikale Leitlinien angenommen. Beide beschäftigen sich mit Vereinbarungen zwischen Unternehmen auf verschiedenen Ebenen einer Lieferkette – etwa zwischen einem Hersteller und einem Einzelhändler – und der Frage, wann solche Vereinbarungen im Einklang mit dem europäischen Wettbewerbsrecht stehen. Solche Vereinbarungen, auch vertikale Vereinbarungen genannt, senken zwar häufig die Transaktionskosten und fördern vorteilhafte Investitionen, können aber gegen das Wettbewerbsrecht verstoßen, wenn sie Marktbarrieren erhöhen oder den Wettbewerb anderweitig einschränken.

Artikel 101 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union verbietet wettbewerbsbeschränkende Vereinbarungen in der EU, sieht aber auch Ausnahmen von dieser Regel vor. Demnach können wettbewerbsbeschränkende Vereinbarungen mit dem EU-Recht vereinbar sein, wenn sie den Wettbewerb nicht völlig ausschalten, die Effizienz steigern und die Verbraucher an den Vorteilen teilhaben lassen. Die Vertikal-GVO und die vertikalen Leitlinien sollen Unternehmen dabei helfen zu beurteilen, ob ihre Vertriebsvereinbarungen mit dem EU-Wettbewerbsrecht vereinbar sind.

Laut Dr. Michael Reich, Wettbewerbsrechtsexperte bei Pinsent Masons, bieten die Vertikal-GVO und die nun von der Kommission angenommenen vertikalen Leitlinien mehr Flexibilität für Unternehmen bei der Gestaltung und Umsetzung einer Reihe von Vertriebsmodellen. „Sie schaffen auch dringend benötigte Klarheit beim Verkauf über digitale Kanäle, einschließlich Bestimmungen, die unterschiedliche Online- und Offline-Preise zulassen. Außerdem enthalten sie Regeln für den Fall, dass Anbieter neben ihren Händlern auch direkte Einzelhandelsverkäufe tätigen“, so Dr. Reich.

Die Vertikal-GVO nimmt Vereinbarungen zwischen Unternehmen, die auf verschiedenen Ebenen der Lieferkette tätig sind, vom Verbot wettbewerbsbeschränkender Vereinbarungen aus, sofern die Vereinbarung zwischen Nicht-Wettbewerbern geschlossen wird, keine so genannten Kernbeschränkungen enthält und der Marktanteil der einzelnen Unternehmen 30 Prozent nicht übersteigt. Kernbeschränkungen sind schwerwiegende Wettbewerbsbeschränkungen, die in den meisten Fällen wegen des Schadens, den sie den Verbrauchern zufügen können, verboten werden sollten. Die Vertikal-GVO bietet somit einen „Safe Harbour“ für bestimmte Formen von Vereinbarungen, während die vertikalen Leitlinien konkretisieren, wie die Wettbewerbsregeln bei vertikalen Vereinbarungen, die nicht in den Anwendungsbereich der Vertikal-GVO fallen, bewertet und beurteilt werden sollen.

Insbesondere unterstreicht die neue Vertikal-GVO die wachsende Bedeutung des elektronischen Geschäftsverkehrs, indem sie Beschränkungen des Online-Verkaufs als Kernbeschränkung aufnimmt, wenn sie „direkt oder indirekt [...] den Zweck haben, Käufer oder deren Kunden daran zu hindern, das Internet für den Verkauf von Vertragswaren oder -dienstleistungen zu nutzen.“

Die neuen Vorschriften ermöglichen es Unternehmen unter anderem, zwei unterschiedliche Großhandelspreise für Produkte festzulegen, die online und offline von ein und demselben Händler verkauft werden. Sie können auch unterschiedliche Kriterien für Online- und Offline-Verkäufe in selektiven Vertriebssystemen festlegen. Mit der neuen Regelung wird jedoch auch der Geltungsbereich der Schutzklausel für bestimmte Formen des Doppelvertriebs eingeschränkt.

Die neue Vertikal-GVO schließt zudem vertikale Vereinbarungen von der Gruppenfreistellung aus, wenn sie sich auf Online-Vermittlungsdienste beziehen und der Anbieter der digitalen Plattform, die diese Dienste anbietet, eine „hybride Funktion“ hat, weil er selbst Waren oder Dienstleistungen im Wettbewerb mit den Unternehmen verkauft, für die er die Online-Vermittlungsdienste erbringt.

Darüber hinaus enthält die aktualisierte Vertikal-GVO neue Regeln für Paritätsverpflichtungen. Paritätsverpflichtungen, auch bekannt als Bestpreis-Klauseln, verlangen von einem Verkäufer, dass er seiner Gegenpartei die gleichen oder bessere Bedingungen anbietet, als sie auf anderen Vertriebskanälen angeboten werden. Nach der alten Vertikal-GVO waren alle Arten von Paritätsklauseln freigestellt. Nach der neuen Vertikal-GVO fallen die von Plattformen auferlegten Paritätsklauseln für den Einzelhandel, die sich auf Angebote auf anderen Plattformen beziehen, nicht mehr unter die Gruppenfreistellung, was bedeutet, dass ihre Vereinbarkeit mit dem EU-Wettbewerbsrecht einzeln geprüft werden muss. Alle anderen Arten von Paritätsverpflichtungen fallen jedoch auch nach der neuen Vertikal-GVO unter die Gruppenfreistellung.

Mit der neuen Vertikal-GVO werden auch die Regeln für aktive und passive Verkäufe präzisiert. Nach Ansicht der Kommission waren bestimmte Aspekte der Vorschriften über Beschränkungen des aktiven Verkaufs unklar, insbesondere in Bezug auf Verkäufe über Online-Kanäle. Die überarbeiteten Definitionen in der Vertikal-GVO tragen nun dazu bei, die Bedeutung von „aktiven“ Verkäufen im digitalen Umfeld zu klären. Die neuen vertikalen Leitlinien enthalten aktualisierte und detailliertere Anleitungen sowohl für aktive als auch für passive Verkäufe.

Außerdem bietet die neue Vertikal-GVO mehr Flexibilität bei der Konfiguration von Alleinvertriebssystemen, so dass ein exklusiv zugewiesenes Gebiet oder eine exklusiv zugewiesene Kundengruppe auf bis zu fünf Käufer aufgeteilt werden kann. Zudem kann ein Anbieter nun von seinen Abnehmern verlangen, dass sie aktive Verkaufsbeschränkungen an ihre Direktkunden weitergeben, was Experten zufolge zu einem besseren Schutz für exklusiv zugewiesene Kundengruppen oder Gebiete führt.

Die neuen Regeln erleichtern auch den Schutz von Alleinvertriebs- und Selektivvertriebssystemen voreinander. So können die Mitglieder eines selektiven Vertriebssystems und ihre Direktkunden daran gehindert werden, aktiv an die exklusiv zugewiesene Kundengruppe eines Händlers oder in dessen Gebiet zu verkaufen. Umgekehrt können Mitglieder eines Alleinvertriebssystems und ihre Direktkunden daran gehindert werden, aktiv oder passiv an nicht zugelassene Händler in dem Gebiet zu verkaufen, in dem der Lieferant ein selektives Vertriebssystem betreibt.

Eine weitere bemerkenswerte Änderung sieht vor, dass Wettbewerbsverbote, die stillschweigend über einen Zeitraum von fünf Jahren hinaus verlängerbar sind, freigestellt werden können, sofern der Käufer solche Verpflichtungen mit dem Lieferanten ohne weiteres neu aushandeln oder beenden kann.

Die neue Vertikal-GVO und die vertikalen Leitlinien werden am 1. Juni 2022 in Kraft treten und bis zum 31. Mai 2034 gelten. „Neue vertikale Vereinbarungen, die ab diesem Datum umgesetzt werden, müssen von Anfang an den neuen Regeln entsprechen“, sagte Dr. Reich. „Für bestehende vertikale Vereinbarungen, die mit den Gruppenfreistellungen für bestehende vertikale Vereinbarungen übereinstimmen, gilt jedoch eine einjährige Übergangsfrist bis zum 1. Juni 2023.“

Letzte Woche hat die britische Regierung auch die endgültige britische Vertical Agreement Block Exemption Order 2022 (VABEO) veröffentlicht. Die VABEO soll die bestehende Vertikal-Gruppenfreistellungsverordnung der EU ersetzen, die das Vereinigte Königreich nach dem Brexit beibehalten hat und die am 31. Mai 2022 ausläuft. Die VABEO wird ebenfalls am 1. Juni 2022 in Kraft treten. Auch in Großbritannien wird es eine einjährige Übergangsfrist geben.

„Die Regelungen in der EU und im Vereinigten Königreich sind weitgehend ähnlich, aber es gibt einige wichtige Unterschiede, beispielsweise in Bezug auf weitreichende Paritätsklauseln für den Einzelhandel und 'immergrüne' Wettbewerbsverbote“, so Robert Vidal, Experte für Wettbewerbsrecht bei Pinsent Masons. Unternehmen sollten schon jetzt damit beginnen, ihre aktuellen vertikalen Vereinbarungen zu überprüfen und bei Bedarf zu aktualisieren, bevor die Übergangsfrist abläuft. Neue Vereinbarungen hingegen, die ab dem 1. Juni 2022 umgesetzt werden, müssen sofort den überarbeiteten Vorschriften entsprechen. „Unternehmen, die im Vereinigten Königreich und in der EU tätig sind, müssen gegebenenfalls die Einhaltung beider Regelungen sicherstellen“, so Vidal

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