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Neue Dynamik in der Debatte um Arbeitszeiterfassung und Überstundenvergütung


Das LAG Niedersachsen ändert ein drittes Urteil des ArbG Emden zur Darlegungslast im Prozess um Überstunden ab. Die Revision zum Bundesarbeitsgericht hat es dabei zugelassen, so dass der Fall bald schon offene Fragen in der aktuellen Diskussion rund um die Einführung und Handhabung von Zeiterfassungssystemen beantworten könnte.

Vor gut zwei Jahren wurde durch die Entscheidung des Gerichtshofes der Europäischen Union (EuGH) vom 14. Mai 2019 eine große Debatte um die Pflicht von Arbeitgebern zur täglichen Arbeitszeiterfassung angestoßen. Mit seiner Grundsatzentscheidung verpflichtete der EuGH die Mitgliedstaaten dazu, Arbeitgebern aufzugeben, durch die Einrichtung eines „objektiven, verlässlichen und zugänglichen Systems“ die Arbeitszeiterfassung ihrer Arbeitnehmer sicherzustellen. Seither wartet man darauf, dass der deutsche Gesetzgeber auf die Entscheidung des EuGHs mit einer entsprechenden Gesetzesänderung reagiert – bisher vergeblich.

In der Zwischenzeit hat das Arbeitsgericht (ArbG) Emden den Gesetzgeber quasi „überholt“ (wir berichteten) indem es in nunmehr drei Überstundenprozessen wiederholt Bezug auf das EuGH-Urteil nahm und Arbeitnehmern einen Anspruch auf Vergütung ihrer aufgezeichneten Überstunden zugesprochen hat.

In dem aktuellsten Urteil (Teilurteil vom 9. November 2020, 2 Ca 399/18) ging es um die Klage eines Arbeitnehmers, der bis 30. September 2019 als Auslieferungsfahrer gearbeitet hatte. Er forderte von seinem früheren Arbeitgeber die Vergütung von Überstunden, die er über einen Zeitraum von 1,5 Jahren hin geleistet hatte. Zum Nachweis der geleisteten Überstunden zog er vom Arbeitgeber erstellte technische Zeitaufzeichnungen heran. Streitig war zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber, ob diese Aufzeichnungen zur Erfassung der vergütungspflichtigen Arbeitszeit erstellt worden waren.

Das ArbG Emden hatte insoweit für den Arbeitnehmer entschieden und zur Begründung ausgeführt, der Arbeitgeber sei in europarechtskonformer Auslegung der Paragrafen  618 Absatz 1 und 241 Absatz 2 BGB dazu verpflichtet gewesen, die Arbeitszeiten seines Angestellten zu erfassen und zu kontrollieren. Da er dieser Pflicht nicht nachgekommen sei, reichten die vorgelegten Aufzeichnungen als Indiz für die geleistete Arbeitszeit aus. Diese Indizien habe der Arbeitgeber nicht entkräften können.

Das Landesarbeitsgericht (LAG) Niedersachsen hat nun eben dieses aktuellste der drei Urteile des ArbG Emden abgeändert und damit der Argumentation des ArbG Emden zunächst eine Absage erteilt. Das in Bezug genommene EuGH-Urteil „habe keine Aussagekraft für die Darlegungs- und Beweislast im Überstundenprozess im Hinblick auf die Frage der Anordnung, Duldung oder Betriebsnotwendigkeit von Überstunden“, heißt es in einer Mitteilung des LAG Niedersachsen. Dem EuGH komme gerade keine Kompetenz zur Entscheidung über Fragen der Vergütung zu, was sich aus Artikel 153 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union ergebe. Daher habe der Arbeitnehmer nicht hinreichend belegt, dass ihm eine Vergütung der Überstunden zusteht.

Obwohl sich aus der Mitteilung des LAG schlussfolgern lässt, dass es mit seiner Entscheidung die unmittelbaren Auswirkungen des EuGH-Urteils für Arbeitgeber relativiert hat, ändert dies jedoch nichts an der Empfehlung für Arbeitgeber, sich entsprechend mit ihren Arbeitszeiterfassungssystemen und gerade auch der Sicherstellung einer regelmäßigen Kontrolle dieser zu befassen. Die Rechtslage ist weiterhin ungeklärt, andere Gerichte könnten der Ansicht des ArbG Emden ungeachtet des LAG-Urteils folgen, Risiken bestehen weiterhin und die Diskussion um die Arbeitszeiterfassung wird sich nicht mehr stoppen lassen. Das LAG hat zudem die Revision zum Bundesarbeitsgericht zugelassen. Es bleibt also weiterhin spannend. Möglicherweise bringen die Entscheidungsgründe des LAG auch selbst noch weitere Erkenntnisse, denn bisher sind diese noch nicht veröffentlicht.

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