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BAG urteilt: Arbeitnehmer muss Nachweis über geleistete Überstunden erbringen


Seit dem „Stechuhr-Urteil“ des EuGH hatten einige deutsche Gerichte angenommen, in Gerichtsprozessen, in denen Überstundenvergütung geltend gemacht wird, sei es am Arbeitgeber, nachzuweisen, dass Überstunden nicht geleistet wurden. Dem widerspricht das Bundesarbeitsgericht nun in einem Grundsatzurteil.

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat in einem am Mittwoch ergangenen Urteil klargestellt, dass es in einem Überstundenprozess Sache des Arbeitnehmers sei, nachzuweisen, dass Überstunden geleistet und auch durch den Arbeitgeber angeordnet, gebilligt oder zumindest geduldet wurden.

Die in Deutschland geltenden Grundsätze in Bezug auf die Verteilung der Darlegungs- und Beweislast in Überstundenvergütungsprozessen würden „durch die auf Unionsrecht beruhende Pflicht zur Einführung eines Systems zur Messung der vom Arbeitnehmer geleisteten täglichen Arbeitszeit nicht verändert“, teilte das BAG am Tag des Urteils mit. Diese Aussage bezieht sich auf das sogenannte „Stechuhr-Urteil“ des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) aus dem Jahr 2019. Mit seinem vieldiskutierten Urteil hatte der EuGH alle EU-Mitgliedstaaten dazu verpflichtet, ihre Gesetze dahingehend zu ändern, dass sie Arbeitgeber dazu verpflichten, ein objektives, verlässliches und zugängliches Arbeitszeiterfassungssystem einzuführen. Das Urteil wurde bisher in Deutschland nicht umgesetzt.

„Das Urteil des BAG ist eine gute Nachricht für Arbeitgeber, die anderenfalls wohl mit einer Vielzahl von Überstundenabgeltungsansprüchen konfrontiert worden wären“, so Sarah Kappe, Arbeitsrechts-Expertin bei Pinsent Masons. „Es ändert allerdings nichts an der Tatsache, dass eine Umsetzung der in der so genannten Arbeitszeitrichtlinie geforderten Dokumentation der täglich geleisteten Arbeitszeit durch den Gesetzgeber bisher nicht erfolgt ist. Da in der Ampel-Regierung aktuell Uneinigkeit über die konkrete Umsetzung des Urteils besteht, ist jedoch noch nicht absehbar, wann mit einer Anpassung des Arbeitszeitgesetzes zu rechnen ist.“

Im nun durch das BAG entschiedenen Fall hatte ein ehemaliger Auslieferungsfahrer seinen früheren Arbeitgeber, ein Einzelhandelsunternehmen, auf die Vergütung von 348 Überstunden verklagt. Er forderte eine Summe von rund 5.223 Euro brutto. Seine Arbeitszeit hatte der Auslieferungsfahrer mittels technischer Zeitaufzeichnung erfasst, wobei nur Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit, nicht jedoch die Pausenzeiten aufgezeichnet wurden. Der ehemalige Auslieferungsfahrer behauptete, er habe die gesamte aufgezeichnete Zeit über durchgearbeitet, ohne Pausen zu machen, da er andernfalls die Auslieferungsaufträge nicht hätte bewältigen können. Das Einzelhandelsunternehmen bestritt dies.

In der ersten Instanz hatte das Arbeitsgericht Emden dem Fahrer Recht gegeben. Es war der Auffassung, das „Stechuhr-Urteil“ des EuGH entbinde den Arbeitnehmer von seiner Pflicht, im Streit über die Vergütung von Überstunden nachzuweisen, dass er die Überstunden tatsächlich erbracht hat und der Arbeitgeber Kenntnis davon hatte. Viel mehr nahm es an, es sei im konkreten Fall Aufgabe des Einzelhandelsunternehmens, nachzuweisen, dass der Fahrer die Pausen doch genommen hat, wenn es die entsprechenden Zeiträume nicht ausbezahlen will. Schließlich wäre es für das Unternehmen möglich gewesen, durch Einführung und Kontrolle eines Arbeitszeiterfassungssystems – das auch die Pausenzeiten aufzeichnet – Kenntnis von den Überstunden zu erlangen.

Das Einzelhandelsunternehmen akzeptierte das Urteil des Arbeitsgerichts Emden nicht und zog vor das Landesarbeitsgericht. Dieses schloss sich der Haltung des Arbeitsgerichts Emden nicht an und wies die Klage des Fahrers ab. Der Fahrer legte Revision vor dem BAG ein. Dieses schloss sich jedoch dem Urteil des Landesarbeitsgerichts an. Es habe richtig erkannt, „dass vom Erfordernis der Darlegung der arbeitgeberseitigen Veranlassung und Zurechnung von Überstunden durch den Arbeitnehmer auch nicht vor dem Hintergrund der genannten Entscheidung des EuGH abzurücken ist“, so das BAG.

Das EuGH-Urteil lege schließlich die Arbeitszeitrichtlinie der EU sowie Artikel 31 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union aus. Beide beschränken sich darauf, den Schutz der Sicherheit und Gesundheit der Arbeitnehmer bei der Gestaltung der Arbeitszeit zu regeln. Sie befassen sich jedoch nicht mit der Vergütung von Überstunden und hätten daher auch keinen Auswirkungen auf die deutschen Regeln für einen Überstundenvergütungsprozess. Es sei nach wie vor am Kläger zu beweisen, dass er die Überstunden auch tatsächlich geleistet hat. Dies habe er im verhandelten Fall nicht hinreichend getan.

Benjamin Bruchmann, ebenfalls Arbeitsrechts-Experte bei Pinsent Masons, betont, dass das Urteil dem deutschen Verständnis der strikten Trennung von Arbeitszeit im regulatorischen und im vergütungsrechtlichen Sinne entspricht und die bekannten Regelungen zur Darlegungs- und Beweislast angelegt werden. „Die strikte Trennung könnte durch den Einfluss des Unionsrechts aber an Kontur verlieren und Schnittmengen entstehen“, so Bruchmann. Sollte der Arbeitgeber zukünftig auf Grund nationaler Umsetzung des Unionsrechts verpflichtet werden, den tatsächlichen Umfang der täglich geleisteten Arbeitszeit des Arbeitnehmers zu dokumentieren, könnte es Maßnahmen – wie beispielsweise  Ermahnungen –  bedürfen, um eine konkludente Duldung der Erbringung von Mehrarbeit, jedenfalls bei widerholten Verstößen, auszuschließen.

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